Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 10 Woodstake
Obdachloser gewesen. Er wohnte daraufhin drei Monate bei ihnen. Bis er den Gestank im Haus nicht mehr ertrug.
Mark und Annette Holzapfel waren in Woodstock gewesen. Und in gewissem Sinne waren sie noch immer dort, waren dort geblieben, als wäre es nicht ein Ort und eine Zeit, sondern ein Gemütszustand und eine Art zu leben.
Damals hatte Annette noch nicht Holzapfel geheißen, sondern Fries. Sie war siebzehn Jahre alt gewesen und von Zuhause ausgerückt. Es gab da ein Konto, das ihre Großmutter für sie angelegt hatte, als Vorsorge für ihr Studium. Annette plünderte es bis auf den letzten Heller. Sie hatte nicht vor, ein Studium zu beginnen. Sie wollte nicht in staubigen Hörsälen vermodern, sondern die Welt sehen. Sie wollte bewusstseinserweiternde Drogen ausprobieren, mit der Natur in Einklang leben, vielleicht in einer Landkommune arbeiten. Um für die Liebe und den Frieden zu leben, war es manchmal nötig, die engen Bindungen der Familie zu durchbrechen. Hatten das nicht schon Jesus von Nazareth und Siddharta Buddha vorgemacht?
In einer Zeitschrift erfuhr sie, dass in den USA im Staat New York ein besonderes Ereignis stattfinden sollte: das Woodstock Music and Art Fair . Am 15. August 1969 sollte auf einem Feld ein dreitägiges Konzert beginnen, zu dem 50.000 Menschen erwartet wurden. Damit würde es ohne Frage in die Geschichte eingehen. Doch Woodstock sollte mehr werden als nur ein großes Konzert – es sollte eine Demonstration für den Frieden sein, ein Ort und ein Datum, an dem sich die Jugend des Landes versammeln und das tun konnte, wonach sie sich sehnte: den Frieden anbeten und die Liebe, die beiden mächtigen Götter ihrer Zeit.
Annette war begeistert von der Idee der Veranstalter, einen Garten Eden auf Erden zu schaffen, auch wenn es nur auf Zeit war. Drei Tage Paradies, ohne Neid, Missgunst und ohne das Unverständnis und das Genörgel ihrer Eltern. Das war mehr wert als ein Studium einer dieser verknöcherten Wissenschaften. Drei Tage Liebe gegen ein ganzes Leben im Spießertum – diese Entscheidung fiel ihr nicht schwer.
Im Flugzeug nach New York lernte sie Mark kennen. Er hatte ähnliche Vorstellungen wie sie, war drei Jahre älter und hatte sich das Geld für die Reise durch harte Arbeit auf einem Bauernhof verdient. Das imponierte ihr, und es dauerte den ganzen Flug über, bis sie ihm beichten konnte, dass ihre Reisekosten ein Geschenk ihrer Großmutter waren. Sie schämte sich entsetzlich dafür, doch als es gesagt war, begann die Zeit der Offenheit, des endlosen Vertrauens und der Liebe.
Mark und Annette ließen sich zwei Tage lang ziellos durch New York treiben, trafen junge Amerikaner und zogen mit ihnen schließlich in Richtung Norden, nach Bethel, wo das Festival auf dem Land des Bauern Yasgur stattfinden sollte. Nur einer aus ihrer Gruppe hatte ein Ticket ergattern können, doch das hielt sie nicht ab. Am Ende waren eine halbe Million Menschen gekommen, und man brach einfach die Zäune nieder und bahnte sich einen Pfad hinein. Der einzige Weg für die Verantwortlichen war, das Konzert zu einer Gratis-Veranstaltung zu erklären, denn als ihnen einfiel, die Tickets zu kontrollieren, hatten schon 200.000 Menschen das umzäunte Veranstaltungsgelände betreten. Da man jene nicht wieder hinausschicken konnte, die bereits drin waren, Ticket hin oder her, wäre es unfair gewesen, diejenigen, die draußen standen, nicht einzulassen. Woodstock wurde ganz automatisch, was es sein wollte: ein Garten Eden. Für das Paradies gab es keine Eintrittskarten, und so war das Niederreißen der Zäune keine Gewalttat, sondern ein notwendiger Akt, um der Gerechtigkeit und Gleichheit willen.
Isabel hatte von ihren Eltern Hunderte von Geschichten über das Konzert gehört. Wie es gewesen war, dort auf dem Boden zu sitzen, zwischen all den freundlichen jungen Menschen, die alle Gleiche unter Gleichen waren und die man alle zu kennen glaubte, auch wenn man ihnen noch nie begegnet war. Die Musik war bezaubernd – zwischen Joan Baez’ traurigen Folkballaden und Jimi Hendrix’ ekstatischen Feedbackorgien spannte sich ein dreitägiger Reigen begnadeter und engagierter Künstler. Doch das Festival spielte sich nicht nur auf der Bühne ab, es passierte vor allem unter den Zuschauern. Man teilte miteinander, was man hatte, Nahrung, Kleidung und manchmal auch den Partner. Man unterhielt sich und hörte zu, was die anderen zu erzählen hatten. Es gab spontane Yogakurse, kleine Konzerte, bei denen die
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