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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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dieses Huhn war nicht vollständig.
    Alles, was oberhalb des Unterkiefers sein sollte, fehlte ihm: Kopf, Gehirn, Augen, Kamm. Sein Hals ragte sinnlos in die Höhe, der untere Teil des Schnabels, der nichts mehr picken konnte, stach nach vorn, schwarz vom verbrannten Blut. Stumm hetzte es über die Wiese, kerzengerade, zielstrebig beinahe.
    Lyannes Selbstbeherrschung bröckelte.
    Sie sah dem Huhn nach und sagte sich, dass sie sich getäuscht hatte. Die Lichtverhältnisse. Die psychische Belastung. Ganz alleine in dieser Kulisse, da mussten die Sinne einem ja Streiche spielen.
    Und außerdem: Man hatte ja schon Geschichten gehört. Von Hühnern, die noch ein Stück rannten, nachdem man ihnen den Kopf abgeschlagen hatte.
    Was du da gerade gesehen hast, Mädchen, ist ein bisschen makaber, darauf können wir uns einigen, aber es ist nichts Ungewöhnliches. Auf keinen Fall stellt es einen Grund dar, die Nerven zu verlieren. Du machst deine Sache bis jetzt gut. In ein paar Minuten sind die Firefighters hier. Du müsstest ihr Horn schon fast hören. Es ist alles in bester Ordnung.
    Vielleicht war bis zu diesem Augenblick tatsächlich alles okay gewesen, inklusive des kopflosen, rennenden Huhns.
    Aber im nächsten Moment war nichts mehr in Ordnung.
    Durch eine schmale Öffnung an der Seite des Stalls drückten sich Hühner. Verbrannte Hühner. Wenn sie erst einmal draußen war, begannen sie zu rennen, und weitere rückten nach.
    Es war ausgeschlossen, dass in dieser Gluthölle unter dem Dach, aus der Funken stieben und vereinzelt Flammen loderten, noch Tiere überlebt hatten. Völlig unmöglich. Trotzdem drängten sie sich vor ihren Augen ins Freie. Manche von ihnen hatten keinen Kopf mehr, andere hüpften auf einem Bein. Einigen fehlte mehr als ihnen geblieben war. Sie waren schwarze, rußige Konstruktionen aus Knochen, Sehnen und ein wenig Fleisch.
    Lyanne wich zwei Schritte zurück und blickte zur Rückwand hinüber. Eben noch, als sie daran vorbeigegangen war, waren die Löcher mit den verkohlten Rändern leere Fenster in eine tote, glosende Finsternis gewesen. Nun entströmte ihnen schwarzes Geflügel, Wesen, die jeder Beschreibung spotteten. Nicht wenige von ihnen begannen auf der Flucht zu zerbröckeln. Ein oder zwei lösten sich sogar komplett in Ruß auf.
    Die Polizistin hatte nicht den Hauch einer Idee, was hier vorging oder wohin sie sich wenden sollte. Anstatt die Flucht zu ergreifen, stand sie reglos. Die Fluchtbahnen der Kreaturen bildeten eine Art Käfig für sie, aus dem sie nicht auszubrechen wagte. Eines der … Zombiehühner prallte dennoch blind gegen ihre Beine und zerbrach dabei in mehrere Teile.
    Ja, das waren sie. Zombiehühner. Das Wort klang irgendwie erheiternd. Vielleicht konnte sie es schaffen, der Situation etwas Komisches abzugewinnen.
    Nein. Sie glaubte nicht, dass ihr das wirklich gelingen würde. Es jemandem zu erzählen, war etwas anderes, als mitten drin zu sein.
    Behutsam, Schritt für Schritt, entfernte sie sich von der Ruine des Stalls. Der Ansturm der Hühner ließ etwas nach, doch noch immer kamen neue aus dem Inneren nach. Viele brannten noch. Fast alle trugen glosende Funken an sich, die beim Rennen aufglommen.
    Wie war das alles nur möglich?
    Für so etwas konnte es doch keine Erklärung geben, oder?
    Irgendein physikalisches Phänomen vielleicht – eine Art Feuer, das die Tiere verstümmelte, ohne sie zu töten? So etwas existierte nicht. Wesen, die zu trockener, rußiger Kohle geworden waren, konnten nicht rennen, ganz gleich, unter welchen Umständen sie verbrannt waren.
    Wo stand ihr Wagen? Was war der kürzere Weg dorthin? Am Stall entlang, wie sie gekommen war? Sicher. Das war definitiv näher, als den weiten Umweg am Haus vorbei zu nehmen.
    Aber die Hühner.
    Da waren diese schrecklichen, toten-und-doch-lebendigen Hühner . Sie hörten nicht auf, aus den Löchern in der Rückwand zu kriechen. Diese Löcher führten nicht einfach nur in einen ausgebrannten Stall. Sie führten in einen Albtraum hinein.
    Wenn sie zum Haus hinüber ging, war sie sie los. So wie es aussah, rannten sie nicht dort hinüber. Sie mieden die Glut, die Hitze. Also war sie da drüben sicher vor ihnen.
    Natürlich trug sie eine Waffe. Mit zitternder Hand – nein, sie brauchte sogar zwei zitternde Hände dazu, verdammt! – bekam sie die Sig Sauer P266 zu fassen, die sie außerhalb des Trainings nur ein Dutzend Mal gezogen und kein einziges Mal abgedrückt hatte. Fünfzehn Schuss Munition warteten in

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