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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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dem breiten Griff der Selbstladepistole darauf, abgefeuert zu werden.
    Abgefeuert auf Hühner, die bereits tot waren?
    Konnte man sich lächerlich vorkommen und gleichzeitig Todesangst leiden?
    Mit schussbereiter Waffe ging sie langsam am Stall entlang. Auf dieser Seite war für die Hühner kaum ein Durchkommen. Nur einige wenige quetschten sich unter dem eingestürzten Blechdach hindurch. Als eines der Tiere in einer der engen Öffnungen stecken blieb, wurde Lyanne Zeuge, wie es sich selbst ein Bein abriss, um hindurchzupassen.
    Der dunkle Ton dröhnte in ihrem Kopf, und auf ihrer linken Brust sog sich ihre Bluse mit ihrer Milch voll. Die Stilleinlage war patschnass und konnte nichts mehr aufnehmen. Es war, als wäre da eine nässende Wunde unter dem Stoff. Drüben im Wagen warteten die Kühlbox, die Pumpe und die sterilisierten Kunststoffbehälter. Es war seltsam, aber inmitten dieses grausigen Chaos rückte ihr Sohn David kein Stück weit in den Hintergrund. Er war immer noch der Mittelpunkt ihrer Gedanken, und während sie den hüpfenden, humpelnden Kohlebrocken zusah, die einmal Tiere gewesen waren, tat ihr jeder Tropfen ihrer Milch leid, der seinen Mund nicht erreichte.
    Sie musste sich psychisch an etwas festhalten, und das Größte und Mächtigste, was sie hatte, war der kleine, wenige Monate alte David. Sie unternahm den Versuch, auch an ihren Mann zu denken, an Phil, aber es brachte ihr nichts. Wenn sie ihn sich vorzustellen versuchte, sah sie ihn grinsend vor sich. Er hielt eine Bierflasche in der Hand und lachte über die Hühner. Und vielleicht auch über den nassen Fleck in ihrer Bluse.
    Merkwürdig, dass der Ton den Milchfluss zu verstärken schien. Wie das Schreien eines Babys.
    Lyanne spürte die Gluthitze auf ihrer Haut kaum mehr. Je weiter sie sich dem Haus näherte, desto entschlossener wurden ihre Schritte. Als die Hühner aus ihrem Blickfeld verschwanden, hatte sie das Gefühl, eine schwere Last falle von ihr ab.
    Das Haus stand jetzt still da. Hier und da stoben ein paar Funken durch die Luft, aber insgesamt schien die Ruine sich beruhigt zu haben. Wenn Lyanne richtig sah, glomm ein kleines Glutnest in einer der Pappeln hinter dem Haus, doch der Baum weigerte sich, in Flammen aufzugehen. Die Hitze, die die Trümmer des Hauses verströmten, erschien ihr doppelt so heftig wie jene, die der Stall abgestrahlt hatte. Aus der Nähe konnte sie einige Einrichtungsgegenstände erkennen, die noch nicht völlig verbrannt waren: Schwere Holzmöbel, ein Klavier und ein Doppelbett, das wohl aus dem ersten Stock ins Erdgeschoss gestürzt war, als die brennenden Dielen es nicht mehr halten konnten.
    Von menschlichen Leichen war nichts zu sehen.
    Wie viele Menschen sich wohl in dieser Nacht im Haus aufgehalten hatten? Sie kannte die Familien- und Arbeitsverhältnisse des alten Tayben nicht so genau. Sie erinnerte sich, dass er verwitwet war, aber alleine konnte er die Farm kaum betrieben haben.
    Als sie in ausreichendem Abstand die Hinterseite des Hauses passierte (und dabei darauf achtete, dass von den Pappeln nichts Brennendes auf sie herabregnete), war ihr, als höre sie durch das Knacken der schwarzen Balken hindurch Motorengeräusche.
    Sie dachte an die Feuerwehr.
    Dann hatte sie einen Punkt erreicht, von dem aus sie ein Stück von der Zufahrt sehen konnte, und ein paar Sekunden später kam ein Auto recht schnittig diese Zufahrt herunter. Der Wagen war weder rot noch schwarz-weiß. Es handelte sich um einen hellen Minivan – die Marke war nicht zu erkennen.
    Unwillkürlich blieb sie stehen. War nun doch noch ein Fahrer auf den Rauch aufmerksam geworden?
    Solange er die Hühner nicht zu Gesicht bekam, konnte sie ihn anweisen, nicht näher zu kommen. Falls allerdings eines der unseligen Geschöpfe in seine Richtung floh, würde es ein schwieriges Gespräch werden.
    Sie schlich einige Yards im Schutz der Pappeln weiter und war sicher, in der Dunkelheit nicht gesehen zu werden. Die Scheinwerfer der beiden Autos zeigten nicht auf sie.
    Der Fahrer brachte sein Vehikel schräg hinter ihrem Streifenwagen abrupt zum Stehen. Wenig später klappte die Beifahrertür auf, und ein hagerer, vielleicht nicht mehr ganz junger Mann in einem hellen Anzug sprang heraus. Er setzte dazu an, vorne um den Wagen herum zu gehen, stoppte dann seine Bewegung und machte den Umweg über die hintere Seite. Er öffnete die Fahrertür von außen und schien dem Fahrer beim Lösen des Sicherheitsgurts und beim Aussteigen behilflich zu

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