Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 9 Der Pfad des Schmerzes

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 9 Der Pfad des Schmerzes

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 9 Der Pfad des Schmerzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
Vom Netzwerk:
exzentrischen, querköpfigen Charakter, und man wusste nie, wie er sich verhalten würde.
    „Wenn du dich entschuldigen möchtest, ist es noch zu früh“, raunte die Stimme, die wie durch ein statisches Rauschen zu ihm drang. „Die anderen sind noch nicht so weit. Du musst ihnen Zeit geben.“
    „Ich habe gerufen, weil ich eine Bitte habe“, sagte Sir Darren, und das Sprechen fiel ihm schwer. Es war, als schnüre etwas seine Kehle zu. Immer wieder war das flatternde Leuchten zu sehen, dazwischen flammte für Sekundenbruchteile ein aufgedunsenes, grinsendes Gesicht auf – die lüsterne Visage Gilberts.
    „Besser keine Bitten jetzt“, entgegnete die Geisterstimme. Sie klang belustigt. „Es gibt eine Zeit für Mäßigung. Du weißt, Darren, was für ein Ende es mit mir nahm. Zuerst waren mir Rachel und Priscilla genug, dann mussten es auch noch Catherine und Eleonore und Heather sein. Ich weiß bis heute nicht, welche mich ins Grab gebracht hat.“
    „Ich muss mit einer Seele sprechen, die erst seit wenigen Tagen bei euch ist. Ein zwölfjähriges Mädchen namens Anna. Sie wurde ... ermordet.“
    Die Kerzenflamme flackerte wie wild und verfärbte sich grünlich. „Das ist nicht gut, Darren. Nicht gut.“
    „Ich weiß!“ Seine Hände verkrampften sich. „Ich muss sie trotzdem sprechen.“
    „Ich glaube, dieses Mädchen möchte hinüber, Darren. In eure Welt. Sie drängt sich geradezu vor. Ich muss sie nur durchlassen.“
    „Dann tu es! Lass Anna durch!“
    „Du weißt, was du ihr damit antun kannst ...“
    „Ich werde vorsichtig sein.“
    „Darren, du bist ein Narr! Du wirst schon bald auf meiner Seite des Vorhangs sein, wenn du dir nicht raten lässt.“
    „Lass mich mit Anna reden, Gilbert, und wenn es das letzte ist, was du für mich tust!“
    Auf einmal wurde es taghell im Zimmer. Die Wände, die wenigen Möbel, der Schreibtisch, alles schien von innen heraus zu leuchten, als würde es brennen. Nur die Flamme der Kerze war tiefschwarz. Ein heißer, trockener Windstoß wie von einem gewaltigen Wüstensturm schlug Sir Darren entgegen. Er versuchte sich am Schreibtisch festzuhalten, doch seine Hände glitten hilflos über das Holz, und die Windbö warf den Mann mitsamt seinem Stuhl um. Geistesgegenwärtig rollte sich Sir Darren im rechten Moment zur Seite, ehe sein Hinterkopf gegen den Fußboden knallen konnte. Sofort war wieder Ruhe und Finsternis eingekehrt. Das Leuchten und der Wind hatten nur zwei, drei Sekunden angedauert.
    Die Kerze war erloschen, Gilberts Stimme und Erscheinung verschwunden.
    „Gilbert?“, fragte Sir Darren in die Dunkelheit hinein. „Was ist passiert? Wo bist du?“
    Er erhielt keine Antwort. Er rieb sich die Schulter, die er sich angeschlagen hatte, und fragte sich, was geschehen war. Dass die Verbindung so unvermittelt und auf so dramatische Weise unterbrochen wurde, war eine Seltenheit. Gewöhnlich entfernten sich die Seelen langsam, zerfaserten in der Finsternis, während die Wand zwischen den beiden Welten wieder dicker und undurchlässiger wurde.
    Stöhnend kam er auf die Beine. Er war nicht mehr der Jüngste. Er konnte von Glück sagen, wenn er sich nichts gebrochen hatte. Mit einem Kopfschütteln tastete er sich an der Wand entlang in Richtung Fenster. Er griff nach den Vorhängen und zog sie mit einem einzigen Ruck zur Seite.
    Als er sich gedankenversunken wieder umwandte, blieb ihm beinahe das Herz stehen.
    Neben seinem Schreibtisch stand ein Mädchen, mitten im hellen Licht des Nachmittags. Es hatte mittellange, dunkelblonde Haare, die etwas ungekämmt wirkten. Das Kind war recht klein, und man hätte es für acht oder neun halten können. Sir Darren wusste, dass es zwölf Jahre alt war. Es würde immer zwölf Jahre alt sein, bis in alle Ewigkeit. Er kannte das Gesicht aus der Zeitung.
    Anna sah ihn mit großen Augen an. Ihr haftete nichts Geisterhaftes an. Ihre Konturen wirkten stabil, sie war nicht durchscheinend. Trotzdem wusste er, dass er durch sie hindurch fassen würde, wenn er versuchte, sie zu berühren. Er unterließ es. Es würde ein Schock für sie sein.
    „Wer sind Sie?“, fragte das Mädchen.

5
    In seinem Kopf rotierte es. Er stieß mit dem Fuß gegen den umgekippten Stuhl und zuckte zurück, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. Er konnte nur auf das Kind starren. In seinem Leben hatte er viele Geister gesehen, aber nur ein oder zwei, die so wenig von einem lebenden Menschen zu unterscheiden waren.
    Gilbert hatte gesagt, dass sie in

Weitere Kostenlose Bücher