Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 9 Der Pfad des Schmerzes
sie aus ihrer Welt gerissen hatte. Wie klang die Frage in ihren Ohren? Würden sie gemeinsam schaffen können, was Dirk Fachinger von ihnen erwartete?
Sie nahm auf dem Sitz Platz, schien noch zu überlegen, was der Mann mit seiner Frage meinte. Mechanisch griff sie nach dem Sicherheitsgurt.
Ihre Finger gingen hindurch!
Sie versuchte es noch einmal, abwesend, beschäftigt mit der Frage, die ihr gestellt worden war. Sir Darren stand daneben, starrte nur auf die Szene, reglos. Er konnte nicht verhindern, dass sie noch ein zweites und ein drittes Mal nach dem Gurt griff – erfolglos!
„Was ...“ Annas Augen weiteten sich. „Das ist ...“
Sir Darren biss sich auf die Lippen. Er erwartete, dass der Spuk sich jetzt auflöste. Oder dass etwas anderes, noch schlimmeres geschehen würde.
„Spürst du Onkel Ulrich?“, stieß er plötzlich hervor. „Kannst du mir sagen, in welcher Himmelsrichtung er ist? Du bist eine Zauberin, du kannst es fühlen!“
Annas Kopf ruckte herum. Sie ließ ihre Hände sinken, auf ihren Schoß. Dort schienen sie Halt zu finden. Als nächstes schloss sie ihre Augen.
„Ja“, flüsterte sie nach einer halben Minute. „Vielleicht spüre ich ihn wirklich. Aber warum bin ich so durcheinander?“
„Mach dir keine Sorgen.“ Das war alles, was der Dozent sagen konnte. „Du darfst mir jetzt befehlen, in welche Richtung ich fahren muss. Es wird am besten sein, du hältst die Augen geschlossen.“
„Aber ich möchte etwas sehen “, beharrte sie und hob die Lider.
Sir Darren hatte auf dem Fahrersitz platzgenommen. „Wohin?“, fragte er. Klang er sehr streng? Er war immer streng zu Menschen gewesen, aber bei diesem Mädchen tat ihm seine eigene harte Aussprache nur weh. Warum konnte er seine Stimme nicht sanfter klingen lassen, so wie andere es vermochten?
Er ließ den Motor an, stieß zurück und fuhr auf das geöffnete Tor zu. Für die nächsten zwei Kilometer würde es nur einen Weg geben: nach rechts an den Kiefern entlang, dann auf der sich schlängelnden Straße hinab ins Tal. Der Weg war lange nicht mehr geteert worden und entsprechend löchrig. Was den Honda nicht störte, bereitete Margaretes Porsche immer öfter Probleme, und Sir Darren wusste, wie gerne sie das zuständige Straßenbauamt auf diesen Missstand hingewiesen hätte. Doch die oberste Maxime auf Schloss Falkengrund hieß: Nur keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Während er den Kleinwagen über die holprige Straße lenkte, wurde ihm nach und nach klar, in was für einer Situation er sich befand. Als er den Kontakt zum Jenseits aufnahm, hatte er geglaubt, er könne Anna ein paar Fragen stellen und ihre Antworten an die Polizei weitergeben. Damit hätte die Sache für ihn und das Kind überstanden sein sollen.
Aber Anna war nun hier, in der Welt, in die sie nicht mehr gehörte. Vielleicht würde sie ihn zu ihrem Onkel führen, doch was dann?
Er durfte unter keinen Umständen zulassen, dass sie ihn traf. Wenn plötzlich der Geist der Toten vor Ulrich Schenks stand, würde die Situation außer Kontrolle geraten. Anna würde wissen , was geschehen war. Sie würde es wissen, weil sie sich erinnern würde oder weil er es in seinem Schreck verraten würde. „Anna“, würde er sagen. „Du lebst? Aber ich dachte, du wärst tot? Ich dachte, ich hätte dich ...“
Sir Darren konnte dieser Seele so etwas nicht antun. Er hatte kein Recht, sie aus ihrer Welt zu reißen und sie mit solchem Schmerz zu konfrontieren! Außerdem gab es noch eine andere Möglichkeit, wie die Dinge sich entwickeln konnten. Ein Spuk von Annas Stärke konnte in einem Augenblick des grenzenlosen Schmerzes unter Umständen genügend Macht entwickeln, um ihren Mörder zu töten.
Falls dies geschah (und falls Sir Darren diesen grauenvollen Ausbruch überlebte), würde er mit einer Leiche dastehen. Mit nur einer Messerspitze Pech würde es so aussehen, als hätte Sir Darren den Mann getötet. Solche Fälle fanden in den Büchern zur Genüge Erwähnung. Wenn ein Spuk tötete, wurde meist ein lebender Mensch für die Tat zur Rechenschaft gezogen.
Es war eine Falle ohne Ausweg, ein Trip ins Grauen. Für sie beide.
Er hätte auf seinen Geistführer hören sollen.
Nein, wenn er von Anfang an auf sein Gewissen gehört hätte, wäre es erst gar nicht zum Gespräch mit Gilbert gekommen. Er hatte sich seine Falle selbst gebaut.
„Nach Osten“, sagte Anna plötzlich. „Onkel Uli ist im Osten.“
„Weißt du, welche Straße ich nehmen
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