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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 9 Der Pfad des Schmerzes

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 9 Der Pfad des Schmerzes

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 9 Der Pfad des Schmerzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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projizierte. Auch Anna hatte nicht mehr ihre lebensechte Gestalt von eben. Sie war beinahe transparent geworden, begann sich aufzulösen.
    Sie schienen miteinander zu sprechen, doch ihre Worte waren nicht zu verstehen. Sir Darren wagte es nicht, näher heranzugehen. Er stellte sich vor, was Ulrich Schenks möglicherweise zu dem Mädchen sagte: „Was du gesehen hast, war ein böser Traum.“ Und dann, nach einer leisen, verwehenden Rückfrage Annas, mochte er geantwortet haben: „Ja ... ein Traum. Ich weiß das ... ich hatte auch einen furchtbaren Albtraum, eben. Aber jetzt ist es vorbei.“
    Auch wenn er nicht wusste, ob dies tatsächlich die Worte waren – eines sah der Beobachter deutlich: Ulrich lächelte.
    Wie er auf den Fotos gelächelt hatte.
    Und das Mädchen erwiderte verstört dieses Lächeln.

9
    Sir Darren blickte den beiden Erscheinungen nach, bis sie verblassten. Das letzte, was von ihnen zu sehen war, waren die beiden einander haltenden Hände. Dann waren auch diese verschwunden, mit dem silbernen Mondlicht eins geworden.
    Langsam, sehr langsam, wandte sich der Dozent zu dem Honda um. Auf der Straße fuhr ein Kleinlaster vorbei. Die Straße schien kilometerweit weg zu sein. Als der Wagen sich entfernt hatte, umhüllte den erschöpften Mann völlige Stille.
    Die Türen des Honda waren geschlossen.
    Sir Darren ging zu dem Wagen, warf einen müden Blick ins Innere ...
    ... und erkannte, dass das Grauen noch nicht vorüber war!
    Die Scheiben waren beschlagen, und im Wageninneren bewegten sich undeutlich neblige Gestalten. Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück. Aus den Spalten zwischen Tür und Karosserie drang Nebel ... oder Rauch ... Sir Darren lief um das Auto herum, und in diesem Moment erschien ein Gesicht auf der Windschutzscheibe, die Nase plattgedrückt, das rosige Fleisch eines teigigen, aufgedunsenen Gesichtes breit hinter dem Glas. Selbst die Augäpfel schienen an der Scheibe flachgedrückt zu werden.
    „Gilbert“, entfuhr es Sir Darren. Er erkannte seinen Geistführer. Neben seiner Visage erschienen weitere, und der Brite kannte sie alle. Es waren alle Geistführer, zu denen er jemals Kontakt gehabt hatte. Sie hatten sich hier versammelt.
    Was wollten sie? Er hatte sie nie zuvor alle auf einem Fleck gesehen!
    „Du bist zu weit gegangen, Darren“, blubberte die Stimme Gilberts. Sie kam durch das Glas der Scheibe wie durch eine weiche, brodelnde Gallertmasse. „Du hast die Seelen benutzt wie Sklaven.“
    „Ich ... musste es tun“, krächzte der Dozent. Angst erfüllte ihn. „Ich hätte es vermieden, wenn es möglich gewesen wäre.“
    Eine der anderen Fratzen sprach. Es war das faltenzerfurchte Gesicht eines zahnlosen Greises. Graue Haarsträhnen klebten fettig an der Scheibe. „Deine Beweggründe interessieren uns nicht. Bis zu deiner letzten verantwortungslosen Tat hatten wir uns lediglich von dir abgewandt. Das ist hiermit vorbei. Jetzt, Darren Edgar, wenden wir uns dir wieder zu.“
    Einer der anderen fuhr fort: „Du hast dich zu unserem Feind gemacht – du wolltest es nicht anders.“
    „Nein ... ich bin nicht euer Feind. Ihr versteht nicht! Ich ...“
    Das Gesicht des Greises wurde größer, wuchs vom Mund her, blähte sich auf. „Jeder Lebende in der Geschichte der Menschheit, der tat, was du getan hast, hat dafür mit seinem Leben bezahlt. Und du, Darren Edgar, solltest nicht darauf hoffen, die erste Ausnahme zu sein.“
    Die Fratzen stießen gemeinsam durch das Glas, die Windschutzscheibe verformte sich zuerst und zersplitterte dann. Sir Darren warf sich zu Boden, und die Nebelgesichter fegten über ihn hinweg. Es war eiskalt geworden, und die Luft roch nach Ozon.
    Minutenlang blieb der Mann liegen, das Gesicht gegen die Erde gedrückt. Als er wieder aufblickte, war von den Geistern nichts mehr zu sehen. Die kleinen Teilchen des Sicherheitsglases lagen überall auf dem Ackerboden und auf der Motorhaube verstreut. Auch in seinen Haaren und in den Taschen und Falten seiner Kleidung hingen sie.
    Schwerfällig erhob er sich.
    In ihm war nur noch Schmerz.
    Schmerz und Angst.
    Er wusste, was die Worte seiner Geistführer bedeuteten. Für die Seelen in der anderen Welt war er nun vogelfrei. Sie, die den Lebenden gewöhnlich nichts anhaben durften, konnten nun die Jagd auf ihn beginnen, denn er hatte ihre Gesetze gebrochen.
    Die Geisterwelt würde alles daransetzen, Sir Darren Edgar zu Tode zu hetzen.
    Sein Leben war keinen roten Heller mehr wert.

    ENDE DER EPISODE
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