Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
symbolisiert sie die Vollendung. Denk nur an die Tonleiter einer Oktave: Sie hat sieben Töne. Der achte Ton wiederholt bloß den ersten auf einer höheren Ebene.«
Tobias war unverhohlen beeindruckt. »Toll. Vier und sieben ergibt elf. Ist Elf auch eine heilige Zahl?«
»Eins und eins ergibt zwei, und die Zwei steht für die Hohepriesterin. Es ist das Symbol des Weiblichen, so wie die gerade Ziffer Eins für das Männliche steht«, sagte sie und errötete etwas. »Jetzt weißt du, warum ich gerade elf Karten nehme.«
»Scheint wirklich alles seinen Sinn zu haben«, räumte er ein. »Geht’s jetzt los?«
»Ja. Aber erwarte nicht zu viel. Die Karten sind ein Labyrinth von Deutungsmöglichkeiten und du wirst weder in ihnen die absolute
Wahrheit finden noch konkrete Antworten. Wenn wir Glück haben, geben sie uns einen Ausblick auf Kommendes und eine Anregung, wie wir uns zu verhalten haben.«
»Was immer die Karten mir zu sagen haben, ich bin bereit!«
Jana warf ihm einen schnellen Seitenblick zu und zählte dann elf Karten ab. Die des Ritters lag schon aufgeschlagen auf der Bettdecke.
»Ich beginne zuerst mit einer Befragung mit nacheinander aufgedeckten Karten«, sagte sie. »Damit erhalten wir einen ersten Eindruck. Hinterher werde ich ein Legebild machen, um eine noch genauere Deutung zu finden.«
Tobias nickte nur und blickte gespannt auf die Karten in ihrer Hand. Er stand vor der ersten Wahrsagung seines Lebens!
Narr, Magier und Schicksalsrad
Jana legte die flache Hand auf den Stoß der achtundsiebzig Tarotkarten und schloss die Augen. Tobias konnte ihr ansehen, wie sie sich konzentrierte. Sie richtete ihre gedankliche Kraft auf die Karten. Diese Konzentration war so total, dass sie nicht nur Falkenhof vergaß, sondern auch das heiße Pochen in ihrem Bein und die Schmerzen, die immer wieder wie Flammenzungen aus dem Schenkel hoch in ihren Körper schossen.
Tobias wagte sich auf seinem Stuhl am Bettrand nicht zu bewegen. Er merkte gar nicht, dass er den Atem anhielt, sein Herz schlug schneller.
Jana öffnete die Augen, als sie meinte, für die spirituelle Welt des Tarot bereit zu sein. Tobias hatte angenommen, sie würde in Trance fallen oder etwas in der Art. Doch das war nicht der Fall. Augen und Stimme waren klar und normal. Sie hatte sich wirklich nur innerlich gesammelt.
Sie deckte nun die erste Karte auf. »Das Schicksalsrad!« Es klang nicht erstaunt.
Tobias sah auf der Karte ein großes Wagenrad mit sechs Speichen. Eine Hand, die aus dem Nichts kam, wuchs aus den Speichen heraus. Schlange, Einhorn und ein auf dem Rücken hängendes Tier sowie das Gesicht eines alten Mannes waren in den Hintergrund des Rades gezeichnet. Dazu Sternenhimmel und merkwürdige Runen.
»Und? Was bedeutet das?«, fragte er gespannt.
»Es weist auf ein besonderes Ereignis hin …«
›Der Ballon!‹, durchfuhr es ihn. Aber dann sagte er sich, dass es jedem ein Leichtes war, einem anderen ein Ereignis zu prophezeien, denn irgendetwas ereignete sich ja immer.
»Vielleicht etwas Unerwartetes«, fuhr Jana fort. »Ob es etwas Gutes oder Schlechtes ist, sagt die Karte nicht. Nur dass sich das Rad deines Lebens in eine besondere Richtung dreht.«
Er grinste. »Gut möglich.«
Sie legte die nächste Karte auf das Schicksalsrad. Es war die Karte Vier. Der Herrscher. Doch er stand auf dem Kopf. Sie runzelte die Stirn.
»Ich sehe Macht und Stärke, Tobias. Aber es sind nicht die guten Seiten der Macht, denn der Herrscher steht auf dem Kopf. Das deutet auf Arroganz und Rücksichtslosigkeit hin und auf ein starkes Verlangen.«
Sie griff zur nächsten Karte.
Tobias erschrak. Ein Knochengerippe, mit der Sense in der Hand. Ein Mann in einem Nachen. Ein Vogelgesicht. Es war ganz eindeutig die Karte des Todes.
Jana bemerkte sein Erschrecken. »Ja, es ist der Tod. Aber das muss nichts Negatives bedeuten. Sterben und Leben sind eins. Diese Karte heißt nicht zwangsläufig, dass jemand sterben wird«, sagte sie schnell. »Sie kann auch darauf hinweisen, dass etwas zu Ende geht – etwa ein besonderer Lebensabschnitt. Aber es wird nicht ohne Schmerz sein.«
»Wie beruhigend«, murmelte Tobias.
Bei der nächsten Karte zeigte nun Jana Betroffenheit. »Der Turm!«, rief sie.
Auf die Karte war ein babylonischer Turm gemalt, der weit in den Himmel ragte. Eine gewaltige Explosion raste aus seinem Inneren und zerriss ihn.
»Wieder ein schlechtes Zeichen?«, fragte er beklommen.
Sie zögerte. »Nach dem Schicksalsrad,
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