Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
Nachbarn und Spitzeln erwecken. Doch wenn man sich zu nachmittäglicher Stunde zu einem Liederkreis trifft oder zur Pflege heimatlichen Brauchtums, wer könnte dahinter so leicht republikanische Umtriebe vermuten?«
Das hatte Tobias eingeleuchtet, wenn auch nicht von seiner Sorge befreit. In den Wintermonaten waren sie sehr selten zusammengekommen, weil die Straßen- und Wetterverhältnisse die lange Fahrt nach Mainz und zurück nicht geraten scheinen ließen. Doch mit dem beginnenden Frühling würden sich auch wieder die Nachmittage häufen, an denen der Geheimbund tagte.
Aber ein Gutes hatte die Fahrt seines Onkels nach Mainz diesmal doch: Sadik würde auf dem Kutschbock sitzen und gleichfalls für viele Stunden fortbleiben. Somit hatte er Zeit genug, um mit Jana zu reden und zu sehen, was sie ihm aus den Karten für eine Zukunft las!
Der Bote war an diesem Tag nicht der Einzige, der aus Mainz auf Falkenhof eintraf. Kaum eine Stunde später rollte das Fuhrwerk des Mechanikus durch das Tor in den Hof, hoch beladen und gezogen von zwei kräftigen Apfelschimmeln. Johann Reitmaier hatte Wort gehalten.
»Drei Tage! Fast auf die Stunde genau!«, rief Heinrich Heller voller Freude. »Das nenn ich eines Mannes Wort!«
Johann Reitmaier lachte. Er ähnelte in gewisser Weise seinen Pferden. Ein Klotz von einem Mann mit wenig eleganten Linien. Kurz die Beine, breit das Kreuz und kantig das Gesicht, wenn auch mit ansprechend offenen Zügen. Ein Mann, der zu arbeiten verstand, gar keine Frage. Doch die Hände waren im Vergleich zu seinen Oberarmen ausgesprochen schlank und wussten wohl auch mit einem feinen Bleistift komplizierteste Zeichnungen anzufertigen.
»Ich hab die Nacht zum Tag gemacht. Stets zu Diensten für den Herrn Professor«, erwiderte er.
»Nicht zu Ihrem Schaden, Reitmaier! Ganz wie ich es sagte!«, versicherte Heinrich Heller. »Lisette! Bring dem Herrn Mechanikus einen Krug Bier und eine kräftige Brotzeit! – Jakob! Klemens! Hängt den Pferden eine gute Portion Hafer vors Maul! Sie hatten schwer zu ziehen. Und dann beginnt mit dem Abladen!«
Und während sein Onkel mit dem Mechanikus ins Haus ging, um das Geschäftliche abzuwickeln und ihn zu verköstigen, half Tobias beim Abladen. Vier Flaschenzüge waren es, die der Johann Reitmaier geladen hatte. Doch wirklich von Gewicht waren die beiden Seilwinden. Nur mit vier Mann ließen sie sich vom Fuhrwerk heben, und sie mussten schwere Kanthölzer unterschieben, sonst hätten sich auch acht kräftige Arme noch bis in den Mittag hinein schinden müssen.
Tobias frohlockte, ließ es sich aber gegenüber Sadik nicht anmerken. Mit der Lieferung des Mechanikus hatten sie nunmehr alles auf Falkenhof, was sie für den Ballonaufstieg brauchten. Nun mussten nur noch die Pfosten vom Startgerüst aufgerichtet und mit den Seilzügen versehen werden. Länger als zwei Tage konnte das kaum in
Anspruch nehmen. Somit blieben ihnen gut fünf Tage, um nachts im Ballon aufzusteigen!
Mit einer Miene, die äußerste Zufriedenheit ausdrückte, und einem noch halb vollen Bierkrug auf der Kutschbank, brach der Mechanikus bald wieder zurück in die Stadt auf. Und Heinrich Heller wies Jakob und Klemens in die Technik der Flaschenzüge ein, zeigte ihnen, wie und wo er sie befestigt haben wollte, und markierte im Hof auch die Stellen rechts und links vom Podest, wo die Seilwinden zu stehen hatten. Und im Handumdrehen war es Mittag geworden, Zeit für ihn und Sadik, nach Mainz aufzubrechen.
»Schau ein wenig nach dem Mädchen und sieh, dass ihr die Zeit nicht zu lang wird«, bat Heinrich Heller seinen Neffen.
»Werd ich, Onkel«, versprach er, um einen gleichmütigen Gesichtsausdruck bemüht, so als würde er sich nicht sonderlich darum reißen.
Doch Sadik durchschaute ihn. »Aber alles mit Maßen! Sie bleibt noch länger als nur diesen einen Tag.«
Tobias gab sich ahnungslos. »Was meinst du damit?«
Sadik griff nach den Zügeln, ließ das Pferd mit einem Schnalzen antraben, wie Tobias es wohl nie in seinem Leben zu Stande bringen würde, und rief ihm noch zu: »Die Zungen der Weiber machen auch aus einer Mistkugel noch Honig!«
Tobias lachte nur. Dann eilte er zu Jana hoch. Sie saß im Bett, die Karten auf der Decke, als hätte sie ihn schon erwartet. Unsinn hatte sich gerade ein Stück Trockenpflaume ins Maul geschoben und gab ein fröhliches Kreischen von sich, das wie ein heiseres Lachen klang. Er sprang mit einem Satz an ihm hoch und krallte sich in seinem Hemd
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