Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
Menschen, die man unter den Gauklern und Schaustellern antreffen konnte. Von den Tricks der Zauberer, der angeblichen Dame ohne Unterleib, erklärte ihm, wie in den Boxbuden die Kämpfe abgesprochen und sich schlau dünkende Burschen bei scheinbaren Glücks- und Geschicklichkeitsspielen übers Ohr hauen ließen. Sie wusste eine lustige Geschichte nach der anderen zu erzählen, und es tat ihm gut, befreit lachen zu können. Und er beneidete sie um all die Menschen und Orte und Erlebnisse, von denen sie so anschaulich berichten konnte. Auf ihre Art breitete sie wie Sadik die Welt als einen bunten Teppich vor ihm aus. Man brauchte nur auf die Straße hinaus, so schien es, und schon befand man sich in einem Strudel der unglaublichsten Geschehnisse. Es war geradezu wunderbar!
Der Gedanke an den Ballon war kein schlechter Trost, aber im Vergleich zu Janas aufregendem Leben wog auch er nicht so schwer in der Aufrechnung. Irgendwann würde auch der Falke den Reiz des Neuen, Unbekannten verlieren – und was war dann? Nun ja, Paris lief ihm nicht weg. Und dennoch …
Das viele Erzählen ging nicht spurlos an Jana vorbei. Eine Weile versuchte sie es noch zu verbergen, dass sich ihr Körper nach Ruhe und Schlaf sehnte. Doch als ihre Stimme ihren Schwung verlor und Blei in ihre Lider zu strömen schien, sodass sie sie kaum noch aufzuhalten vermochte, sagte sie entschuldigend: »Sei mir nicht böse, aber das Kartenlesen und Erzählen hat mich ganz müde werden lassen. Ich glaube, mir fallen gleich die Augen zu.«
Tobias bekam ein schlechtes Gewissen, als ihm bewusst wurde, wie lange er schon an ihrem Bett saß. Über zwei Stunden! Wie im Fluge waren sie vergangen. »Mein Gott, ich halte dich wirklich vom Schlaf ab! Sadik würde mir den Koran um die Ohren schlagen und noch ein paar Sprüche seines weisen Scheichs, wenn er davon wüsste! Ich verschwinde sofort! Tut mir Leid, wenn ich dich so angestrengt habe …«
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ohne dich hätte ich mich entsetzlich gelangweilt. Ich wünschte, Sadik würde dich viel öfter zu mir lassen.«
Ihre Worte berührten ihn und er wurde auch etwas verlegen. »Du wirst bestimmt ganz schnell gesund, und dann kann Sadik keine Einwände mehr erheben«, erwiderte er und dachte im selben Moment daran, dass dann aber für sie auch schon bald die Zeit kommen würde, Falkenhof zu verlassen und weiterzuziehen. Doch diesen Gedanken verscheuchte er schnell.
»Ich führe noch Unsinn auf den Hof, damit er dich nicht gleich weckt, wenn er muss.«
Sie nickte ihm dankbar zu.
»Wo hast du den Affen überhaupt her? Und wieso heißt er Unsinn?«, wollte er dann noch wissen.
»Ein Seemann, der ihn von einer Reise nach China mitgebracht hatte, hat ihn mir in Amsterdam geschenkt. Zwei Wochen vorher hatte ich ihm die Karten gelegt. Er hatte drei Monate an Land verbracht und wollte neu anheuern, konnte sich aber zwischen zwei Schiffen, die für ihn in Frage kamen, nicht entscheiden. Er wollte eigentlich auf der Albatros anheuern, doch die Karten standen nicht gut, und ich riet ihm zur California, obwohl das Schiff erst ein paar Wochen später in See stechen würde. Er nahm den Rat der Karten an – und das rettete ihm wohl das Leben, obwohl das nicht gewiss ist, denn er war Rudergänger, und vielleicht hätte er das Unglück verhindern können.«
»Was geschah mit der Albatros?«
»Sie sank im englischen Kanal nach einem Zusammenstoß mit einem Kohlenfrachter. Es war eine neblige Nacht. Von der Albatros, die wie ein Stein sank, überlebte niemand. Zum Dank schenkte er mir Unsinn. Er hatte den Affen so genannt, weil er die ersten Wochen auf See offenbar eine Menge auf dem Schiff angestellt hat.«
Mit Unbehagen dachte Tobias wieder an seine Wahrsagung, als er Unsinn in den Hof führte. Ob vielleicht doch etwas dran war? Das mit der Albatros konnte natürlich auch reiner Zufall gewesen sein. Oder vermochte Jana tatsächlich die Zukunft aus den Karten zu lesen?
Fougots Geschenk
Jakob und Klemens hatten schon zwei der hohen Masten aufgerichtet. Sie waren mit derbem Sacktuch gepolstert, um das zudem noch glattes Leinen gespannt war. Kein noch so feiner Holzsplitter sollte die kostbare Hülle aus Taft und Seide einreißen, wenn sie mit den Masten in Berührung geriet.
Als Tobias Unsinn wieder ins Zimmer zurückbrachte, schlief Jana schon tief und fest. Sogar im Schlaf sah sie erschöpft aus. Hatte das Kartenlesen sie so angestrengt?
Er wusste nicht, was er von ihrer
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