Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
meine Gefährten tun. Hätte ich sie unter diesen Umständen im Stich gelassen und ihrem Schicksal überantwortet, wäre das ein schändlicher Verrat gewesen – und damit hätte ich nicht leben können.«
»Ob man Freunde hat und Gefälligkeiten eintreiben kann, zeigt sich erst in der Not«, brummte Jakob. »Ich hoffe nur für uns alle, dass Sie nicht bitterlich enttäuscht werden.«
»Gewiss. Erst die Zukunft wird es zeigen«, räumte Heinrich Heller ein. »Doch ich bin voll Zuversicht.«
Jakobs düstere Miene drückte das Gegenteil aus. »Zeppenfeld ist an allem Schuld! Hätte Ihr Bruder ihn damals doch nur in der Wüste verrecken lassen«, sagte er erbittert und legte Holz im Kamin nach.
Heinrich Heller ging nicht darauf ein. »Es kann noch etwas dauern, bis Pizalla mit einer Abteilung Soldaten eintrifft. Ein starker Kaffee mit einem Schuss Kognak wäre jetzt genau richtig«, sagte er mild.
»Ich werde mich sofort darum kümmern«, versicherte Jakob, froh, dass er etwas für ihn tun konnte, und eilte aus dem Zimmer.
Heinrich Heller blickte in die Flammen. Eine tiefe Niedergeschlagenheit befiel ihn. Seit vielen Jahren kämpfte er nun schon gegen die Unterdrückung liberaler und republikanischer Ideen. Mehr als einmal hatte er sich dadurch in ernste Gefahr gebracht, dass er versucht hatte das angeblich gottgewollte Recht der Fürsten auf Herrschaft nachdrücklich in Frage zu stellen. Eine geeinte deutsche Nation und mehr bürgerliche Freiheiten – dafür hatte er mit Leidenschaft und Ausdauer gestritten. Aber was war der Erfolg gewesen? Vor elf Jahren hatte er seine Professur der Philosophie und Naturwissenschaften in Gießen verloren und die Stadt bei Nacht und Nebel verlassen müssen. Er hatte damals von Glück reden können, dass er dem Kerker entkommen und vermögend genug war, um sich dieses Landgut bei Mainz kaufen und sich weiterhin seinen vielfältigen wissenschaftlichen Forschungen und Experimenten widmen zu können – und der Erziehung seines überdurchschnittlich begabten Neffen Tobias.
In diesen elf Jahren war er aber auch politisch nicht untätig gewesen. Im Gegenteil. Er hatte in Mainz den Geheimbund Schwarz, Rot, Gold gegründet und gemeinsam mit seinen Freunden alles in seiner Macht Stehende getan um durch Flugschriften das träge Volk über die Ideen der Menschenrechte, der geeinten Nation und einer republikanischen Verfassung zu informieren und aufzurütteln.
Stets hatte er gewusst, dass Erfolge nicht über Nacht zu erzielen waren und man Geduld haben musste. Veränderungen, wie sie ihm vorschwebten, gingen nur ganz langsam vonstatten – oder aber eruptiv und gewaltsam in einem Volksaufstand, der mit einem Schlag hinwegfegte, was an tyrannischen Herrschaftssystemen bis dahin existiert hatte.
Auf eine solche Erhebung breiter Massen, wie sie die Französische Revolution von 1789 und der amerikanische Unabhängigkeitskrieg von 1776 bis 1783 gewesen waren, hatte er in Deutschland nie zu hoffen gewagt. Die Deutschen hatten sich auch vor knapp zehn Jahren kein Beispiel an den Revolutionen in Spanien, Portugal, Piemont und Neapel genommen. Dasselbe galt für den griechischen Unabhängigkeitskrieg von 1821 bis 1829 und den Abfall der spanischen Kolonien in Südamerika, die sich zu unabhängigen Republiken ausgerufen hatten. Diese Freiheitsbewegungen waren in Deutschland, das noch immer aus Dutzenden von kleinen souveränen Fürstentümern und Königreichen bestand und von einer geeinten Nation nur träumen konnte, tatenlos verhallt.
Heinrich Heller seufzte schwer. Ja, es war deprimierend, dass sich in den vielen Jahren so gut wie nichts zum Positiven verändert hatte. Und er fragte sich in diesem Augenblick der Schwäche, ob er seine Zeit nicht sinnlos vergeudet hatte. War er wie Don Quichotte gegen Windmühlenflügel angeritten?
Er musste an seinen zwanzig Jahre jüngeren Bruder Siegbert denken, den Vater von Tobias, der vor wenigen Monaten zu einer neuen Afrika-Expedition aufgebrochen war. Von Madagaskar aus wollte er einen neuen Vorstoß ins Herz des Schwarzen Kontinents wagen um den Quellen des Nils endlich auf die Spur zu kommen.
Siegbert hat richtig gehandelt, ging es ihm nicht ohne eine Spur Bitterkeit durch den Sinn. Er hat sich nicht in undankbare politische Aktivitäten verstrickt, sondern seine wissenschaftlichen Ziele immer in den Mittelpunkt seines Lebens gestellt. Seine Entdeckungsreisen nach Afrika und die Suche nach den Quellen des Nils waren ihm stets wichtiger gewesen als
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