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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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können, tat es jedoch, vielleicht überraschenderweise, nicht. Es bestärkte sie vielmehr in ihrer Entschlossenheit, so viel vom Vermögen ihres verhaßten Ehemannes zu retten, wie sie nur konnte. Niemand wußte besser als sie, wie abgrundtief schlecht er gewesen war, aber sie kämpfte jetzt nicht nur um ihren Lebensunterhalt, sondern auch für die Zukunft ihres Jungen. Sie hatte nicht darum gebeten, auf diese gottverlassene Insel versetzt zu werden, und keineswegs die Absicht, hier zu bleiben. Aber sie wollte verdammt sein, wenn sie mit leeren Händen abzog. Zur Hölle mit dem verdammten Rechtsanwalt. So wie sie die Sache sah, gehörte, was auch immer sie mittels ihrer eigenen Anstrengungen bekam, von Rechts wegen ihr und war durchaus kein Geschenk ihres niederträchtigen Ehemannes. Sie würde, verdammt noch mal, die ganze Angelegenheit regeln, ehe sie wegzog. Sie würde bekommen, was ihr zustand, das würden die schon sehen. Ein kleines Miststück war sie schon, diese Maisie.
    Allerdings gab es da noch ein Problem: Sie konnte eigentlich nicht nach Hause zurück, ehe dieser verfluchte Krieg vorbei war. Den verdammten Iren mochte ja daran gelegen sein, sie so schnell wie möglich von hier verschwinden zu sehen, aber einmal mußte sie auch an sich selber denken. Angesichts der Rationierung und Lebensmittelknappheit in England, nun, da würde der kleine Arthur mit Sicherheit verhungern. Und sie hatte keine Lust, nach Hause zurück zu Mutter zu laufen. Sie würde hierbleiben, so lange es ihr paßte. Und die Dinge selber in die Hand nehmen.
    Maisie wußte, wo die Mietshäuser sich befanden, und hatte auch eine ungefähre Vorstellung davon, wie viel sie wert waren. Sie fragte sich, ob sie irgend jemanden dazu bringen könnte, sie zu übernehmen, vor allem, wenn dort noch Mieter hausten. Oder wie sie sie, da sie auch nicht die Spur von irgendwelchen Übertragungsurkunden oder Verkaufsbelegen aufstöbern konnte, mit Gewinn losschlagen könnte. Sie brauchte Rat, und zwar von einem Einheimischen.
    Kaum zwei Monate nach Bullers Tod schnallte Maisie ihren zwanzig Monate alten Sohn in seinem Kinderwagen fest, steckte einen Schnuller in seinen Mund und machte sich auf, um dem einzigen Menschen, mit dem sie in ihren drei Jahren in Irland so etwas Ähnliches wie Freundschaft geschlossen hatte – und auch das erst nach dem Tod ihres Mannes –, einen Besuch abzustatten.
     
    Im Juni 1945, einen Monat nach dem Tag der deutschen Kapitulation, kehrten Maisie Reynolds und Klein-Arthur Dublin den Rücken. Sie hatte genügend Bargeld zur Verfügung, um sich als Pensionswirtin an der See niederzulassen. Ihre drei verheirateten Schwestern hießen sie alles andere als willkommen; zwei von ihnen hatten ihren Ehemann in Afrika verloren. Ihrer Ansicht nach war sie kaum etwas besseres als eine Verräterin, da sie das Ende des Krieges »da draußen« in Irland abgewartet hatte. Sie war, so klagten sie sie an, zum Feind übergelaufen. Was, ehrlich gesagt, ein bißchen dick aufgetragen war. Drei Jahre lang hatte sie an nichts anderes als an zu Hause gedacht. Die Lichter der Stadt, die Tanzveranstaltungen am Samstagabend, Max Millers schmutzige Witze, bei denen man schier platzte vor Lachen, Fish-and-chips, Portwein mit Zitrone, Freitagabend im Odeon.
    Sie konnte es nicht fassen. Egal, wie oft und wie nachdrücklich sie ihre Verachtung für die Iren zum Ausdruck brachte, sie wollten einfach nicht hören. Mit einem Mal war sie eine von denen. Sie hatte ihr Geburtsrecht für ihr leibliches Wohlbefinden verkauft. Konnte nicht mehr als Engländerin bezeichnet werden. Verdiente es nicht. Man wich ihr aus, und sie war plötzlich nicht mehr »eine von uns«. Es war, als sei sie, Maisie Reynolds, geborene Dent, eine waschechte Britin, nur eine weitere unwillkommene und verachtete irische Einwanderin.
    Gleichgültig, wie sehr sie wütete und brüllte, sie konnte sie nicht von diesem Standpunkt abbringen. Zwischen ihnen hatte sich ein tiefer Abgrund aufgetan. Sie hatte nicht ihre Leiden und ihre Schrecken mit ihnen geteilt. Sie hatte nicht kalte, feuchte Nächte in Luftschutzkellern verbracht, hatte nicht in einer Munitionsfabrik gearbeitet, hatte nicht mit Magermilchpulver, Graubrot und ohne Fleisch auskommen müssen.
    Und sie hatte auch nicht all die niedlichen Yankees kennengelernt, oder? Wenn die drei also vom Blitzkrieg oder den Luftangriffen oder der schrecklichen Knappheit an Nahrungsmitteln und Kleidung erzählten, versuchte Maisie, interessiert

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