Fallende Schatten
je einen Ehemann zu finden. Sie war fünfunddreißig, er neunundvierzig gewesen. Er hatte im Großen Krieg gekämpft und sich anschließend freiwillig für den Einsatz in Irland gemeldet. Ein begeisterter Soldat war er gewesen, dieser Buller, der sich gerühmt hatte, zu wissen, wie man hochnäsige Katholen in die Schranken wies. Kämpfen, so hatte er sich gebrüstet, war das einzige, was er konnte. Nicht ganz. Während seiner Zeit beim Militär hatte er gelernt, wie man schnell ein Ding dreht.
In Dublin hatten sich ihm Möglichkeiten eröffnet, an die jemand seiner Herkunft zu Hause in England nicht einmal im Traum hätte denken können. Als die Briten sich zurückgezogen hatten, wurden viele Häuser aufgegeben. Und der wackere Sergeant war in einer hervorragenden Stellung gewesen, um die Dinge zu seinem Vorteil hinzudrehen. Er war gewitzt und skrupellos und bekam unweigerlich immer alles, was er wollte. Sein Ehrgeiz war es gewesen, schnell und mit allen nur denkbaren Mitteln eine Menge Geld zu machen. Im Alter von vierzig Jahren hatte er bereits fünf Einfamilienhäuser in der Daedalian Road besessen. Ungefähr ein Jahr später hatte er ein weiteres, diesmal dreistöckiges Wohnhaus in der gleichen Häuserzeile dazugekauft und ein Auge auf die anderen geworfen. Er hatte gewußt, die Gegend, so nahe bei der Stadt und den Hafenanlagen gelegen, könnte sich dereinst als Goldgrube erweisen. In der Zwischenzeit konnte er mit den Mieten ein hübsches Sümmchen einstreichen. Wen kümmerte es schon, daß die Häuser heruntergekommen und verwahrlost waren und über keinerlei sanitäre Installationen verfügten? Jedermann wußte, man war nicht verpflichtet, derlei Annehmlichkeiten zu bieten. Diese Leute würden nicht einmal wissen, was sie damit anfangen sollten. Der Sergeant war jetzt also Hausbesitzer geworden, die Mieteinnahmen waren hereingeströmt, und er hatte sein Streben anderen Möglichkeiten, Geld zu machen, zugewandt. Und dem Wunsch, einen Erben zu zeugen.
Als er 1933 seine zukünftige Frau in einem Kino kennengelernt hatte, war er gerade zu Besuch bei einem alten Kriegskameraden gewesen. Maisie war Platzanweiserin im Odeon. Danach war er regelmäßig jedes Jahr aufgetaucht. Aus Irland, hatte er ihr erklärt. Sein Kumpel hatte ihn immer »Sarge »genannt, daher hatte sie angenommen, er sei immer noch Soldat. Sie hatte ihn nie gefragt, was er machte oder ob er »da draußen« kämpfte. Ihr geographisches Wissen war so verschwommen wie ihr Verständnis von Geschichte. Für Maisie war Irland ungefähr genauso weit weg und fremd gewesen wie Timbuktu.
Und dann, in einer kalten Dezembernacht des Jahres 1938, war er aus heiterem Himmel aufgetaucht, als sie gerade nach Hause gehen wollte, und hatte sie gefragt, ob sie ihn heiraten wolle. Er war betrunken und rührselig gewesen; sein Kumpel war gerade gestorben. Er habe vor, so sagte er ihr, eine Familie zu gründen, die Schwierigkeit sei nur, er kenne kaum Mädchen. Sie war so dankbar gewesen, daß er sie als Mädchen bezeichnet hatte, daß sie ja gesagt hatte. Eine Woche lang hatte er sie mit Pralinenschachteln und Florgarnstrümpfen umworben – daß er ihr keine Seidenstrümpfe geschenkt hatte, hatte sie ihm im Grunde nie verziehen. Sie kannte nicht viele Männer, und von denen, die sie kannte, hielt sie nicht allzu viel – hatte sie nicht miterlebt, was die in der hintersten Reihe des Odeon trieben? Noch nie hatte jemand ihr einen Heiratsantrag gemacht. Sie war nicht gerade entzückt gewesen, hatte aber trotzdem ja gesagt.
Ihre Hochzeit war eine armselige, schäbige Angelegenheit in der Methodisten-Kapelle gewesen. Zwar gehörte keiner von ihnen zur Methodisten-Gemeinde, aber der Pfarrer war froh um die Gebühr gewesen. Gleich nach dem Hochzeitsfrühstück hatten sie den Zug mit Schiffsanschluß nach Dublin genommen. Maisie und zweifelsohne auch dem guten »Sarge »war die Reise schier endlos vorgekommen. Das Paketboot nach Dublin war überfüllt, das Wetter scheußlich und die Überfahrt rauh gewesen. Wilf hatte sich betrunken und Maisie seekrank darniedergelegen.
Bei ihrer Ankunft hatte es geregnet, und seitdem hatte es, so kam es zumindest Maisie vor, nie aufgehört zu regnen. Von dem Augenblick an, als sie den Fuß in die Stadt gesetzt hatte, war diese ihr verhaßt gewesen. Sie haßte die Kälte und die Feuchtigkeit und den Wind. Sie vermißte ihren Job und ihre Freundinnen. Und da sie kein Wort von dem verstand, was die Leute dort sagten, mißtraute sie ihnen
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