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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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seine, er hatte sie an einem Stand entlang der Kais gekauft – und sie sich an die Brust geheftet. Dann hatte er vorne im Garten den Union Jack gehißt. Der Nachbar gleich nebenan hatte durchgedreht. Brüllend war er aus dem Haus gerannt und hatte verlangt, augenblicklich die Fahne einzuholen. Wilf hatte ihn am Kragen gepackt und ihm einen Tritt in den Hintern versetzt.
    »Verzieh dich wieder in dein stinkiges Rattenloch!« hatte er gebrüllt. »Ihr kriecht ja den Deutschen in den Arsch. Zu feige, um zu kämpfen, ha? Verdammte Dreckskerle. Erwartet, daß Seine Majestät euch durchfüttert und dieses Scheißland beschützt, hm?« Sein Gesicht hatte sich verächtlich verzerrt. »Feige Katholen. Kämpft nicht mal für König und Vaterland.«
    Maisie hatte, hinter dem Vorhang versteckt, voller Erstaunen beobachtet, wie Mr. O’Hara seinen Standpunkt verteidigte. Er hatte sich zu voller Größe aufgerichtet, mindestens fünfzehn Zentimeter weniger als Wilfs einsfünfundsiebzig, und hatte ganz ruhig gefragt, an welches Land er dabei denke.
    »An das Vereinigte Königreich«, hatte Reynolds gehöhnt. » God save the king!«
    Nachdem Mr. O’Hara ein nicht vorhandenes Stäubchen von seinem Revers geschnippt hatte, war er schnell wie eine Katze Wilf angesprungen und hatte ihm einen gewaltigen, klatschenden Schlag seitlich auf die Nase versetzt. Dann war er flink über das Tor gesprungen, während Wilf versucht hatte, das Blut zu stillen.
    »Sie kennen sich da natürlich bestens aus, Mister Besatzungs-Reynolds?« hatte O’Hara so laut gebrüllt, daß alle Nachbarn es hören konnten. Er war ins Haus geflitzt, während Wilf getobt und einen Schwall Beleidigungen gegen syphilitische Republikaner und ihr ständiges Jammern hervorgestoßen hatte.
    Und ob Reynolds sich damit ausgekannt hatte. Eines allerdings hatte er nicht in seine Überlegungen mit einbezogen: daß auch die Nachbarn darüber Bescheid wußten. Und sie wußten genau, wieso er in Dublin war und was er in den Jahren zwischen den Kriegen gemacht hatte. Reynolds hatte kaum den Mund aufmachen können, ohne sich zu verraten.
    Die Tage vergingen, die Wochen, dann die Monate. Maisie Reynolds, von den anderen gemieden, isoliert und zunehmend apathisch, betete, der Krieg möge bald zu Ende sein, damit sie nach Hause zurückkehren könnte, in die Geborgenheit von Sussex. Doch für die absehbare Zukunft schien dies unwahrscheinlich. England im Krieg bot kaum Vorteile gegenüber dem verhaßten neutralen Dublin, wo es zumindest genügend zu essen und billiges Personal für das Kind gab. Maisie war schlau genug, um zu wissen, wenn sie zu früh ging, würde sie unter Umständen nie an den beträchtlichen Besitz ihres verstorbenen Ehemannes herankommen. Und es dauerte ein wenig länger, als sie gedacht hatte, herauszufinden, wie sie ihr Erbe zu Geld machen könnte.
    Sie fing bei den Wohnhäusern an. Über die wußte sie zumindest ein bißchen Bescheid. Im ersten Jahr ihrer Ehe hatte ihr Mann sie gezwungen, die Mieten einzutreiben. Diese Aufgabe hatte sie nicht lange erfüllt, denn ihm war bald klar geworden, wie schlecht sie mit den greinenden Bitten seiner unzuverlässigen Mieter um Aufschub klarkam. Ihr Mißtrauen hatte sie hilflos gemacht, auch wenn dieses Gefühl noch weit hinter ihrem Selbstmitleid rangiert hatte. Sobald sie konnte, hatte sie ihre Schwangerschaft als Vorwand genutzt, um ihre wöchentliche Runde, bei der sie nur leere Drohungen ausgestoßen hatte, aufzugeben. Die Mieter hatten allen Grund gehabt, sie sich zurückzuwünschen, als der Furcht einflößende Buller diese Aufgabe dann selber übernommen hatte.
    Rückblickend war sie erstaunt, wie lange sie gebraucht hatte, um zu merken, daß es Wilf beim Eintreiben der Mieten nicht nur ums Geld gegangen war, sondern daß mit dieser wöchentlichen Runde vermutlich auch noch andere Annehmlichkeiten verbunden waren. Vielleicht war das auch ganz gut so gewesen, denn mittlerweile war die wenn auch noch so geringe Zuneigung, die möglicherweise einmal zwischen ihnen bestanden hatte, durch seine Brutalität abgetötet worden. Einzig das Kind weckte das bißchen Zärtlichkeit, das in ihm steckte. Und selbst das schwand zusehends, wie sie voller Bestürzung feststellte, als der Junge größer und aus dem Baby ein Kleinkind wurde, das nicht gleich den hohen Erwartungen seines Erzeugers entsprach.
    Maisie Dent hatte Sergeant-Major Wilfrid (Buller) Reynolds kennengelernt, als sie fast schon jegliche Hoffnung aufgegeben hatte,

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