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Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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weißen Overalls herumzuzerren. Riss ihn auf.
    Ich sah nur das Schulterholster, und die Zündschnur zischte.
    Der Blitz, der Wind, der Knall, der Staub, das prasselnde Gemisch aus losem Gestein und geborstenem Holz, all das stob in ziemlich genau in dieser Reihenfolge über mich hinweg. Am gefährlichsten wurde es, als der Detonation die Puste ausging und die Brocken nur noch so eben über die Kante gekullert kamen, wo sie mir, in der Leiter hängend, den Schädel zu knacken drohten. Mit dem Unterarm über dem Kopf wartete ich, bis auch der letzte Kiesel die Stahlsprossen herabgetanzt war und die große Ruhe einsetzte.
    Das Bittere an der Rache ist der Umstand, dass sie nichts ungeschehen, nichts wieder gutmacht.
    Irgendwo in den Bergen hallte der Donner der Explosion nach. Irgendwo unter mir bewegten sich Leute, machten kleine, sorgenvolle Geräusche. Ich hing noch in der Leiter, unbeweglich, unerreichbar, weit, weit weg.
    Sie hätte es nicht so gewollt, sagte ich mir. Aber ich habe es trotzdem getan.
    »Was denn«, fuhr mich die Ärztin an, »Ihre große Verschwörungstheorie, Ihre herumstreunenden
    Erschießungskommandos sollen nichts als Auswüchse Ihrer Phantasie und beinahe erschossen worden zu sein nichts als meine Einbildung gewesen sein?«
    Eine betäubte Nacht im Freien, die geballte Wucht einer Lawine, ja selbst Beschuss und anschließende Schussfahrt, alles zusammen hatte Frau Doktor Marx nichts anhaben können. Eher im Gegenteil, sie wirkte fitter als vor Antritt der Reise. Routiniert zog sie die Spritze voll Novocain, drückte die überschüssige Luft aus der Kanüle.
    »Die Leute waren auf Gamsjagd und haben sich bei mir entschuldigt«, sagte ich, bäuchlings und mit nacktem Arsch auf dem Boden des Transporters liegend, »bevor sie diesen bedauerlichen Autounfall hatten. Und wer«, fuhr ich fort, »hat denn von Anfang an behauptet, ich sei ein Psychotiker?«
    Kein Licht, hatte sie sich beschwert, keine Hygiene, und überhaupt, Schusswunden seien meldepflichtig ...
    Ich hatte sie nur angesehen.
    »Und Sie«, konterte sie und impfte mir die Umgebung von Eintrittsloch und Schusskanal mit dem Betäubungsmittel, »hat man demnach wohl für eine Gemse gehalten, oder was wollen Sie mir erzählen?«
    »Genau«, sagte ich, während mir ein halber Liter kaltes Desinfektionsmittel über die schaudernde Arschbacke gegossen wurde.
    »Hört mir alle mal gut zu«, rief ich, um alle Umstehenden zu erreichen. »Was immer wir in den nächsten Tagen gefragt werden« - ich holte tief und röchelnd Luft, als Frau Doktor eine Art Eislöffelchen in das Loch in meiner Hüfte führte -»die letzten Tage waren nichts als eine dramatisch schief gelaufene Bergtour. Habt ihr das verstanden?«
    Zustimmendes Gebrummel von allen Seiten. Bis auf rechts von mir, wo Frau Doktor auf einer aus Ölfässern und einer Planke improvisierten Bank hockte und im Licht zweier von
    Christine und Mona gehaltenen Taschenlampen in meinem Arsch herumstocherte.
    »Mir will nicht in den Kopf, was Sie sich davon versprechen«, murmelte sie, auf ihre Arbeit konzentriert.
    »Man kann es sich selbst und den Behörden leicht, aber auch unnötig schwer machen«, presste ich hervor, unterbrochen von durch die Zähne zischenden Atembewegungen.
    Und verschleppte Ermittlungen würden uns die meisten Optionen offen halten. Angenommen, nur mal angenommen, wir alle machten nur geschockte, verwirrte Aussagen, angenommen, nur mal angenommen, wir alle vergäßen, etwas von dem Gold zu erwähnen, von Schüssen und Explosionen, und angenommen, nur mal angenommen, der ganze ReformKlub träfe sich in einem therapeutischen Seminar zur Aufarbeitung traumatischer Erlebnisse im Frühjahr in Monas Höhle wieder .
    Träume, sicher. Aber ohne Träume kann man auch gleich hingehen und sich aufhängen.
    »Na endlich«, knurrte die Ärztin mit professioneller Zufriedenheit und zeigte mir das blutige Geschoss zwischen ihren blutverschmierten Handschuhfingern.
    Erleichtert entspannte ich den aufgebäumten Rücken und ließ meinen Kopf zurück in Monas Schoß sinken. Mit gurrendem, leisem, beruhigendem Gemurmel strich sie mir durchs Haar, über die Augenbinde, rückte den Schneebeutel auf der von Pulverdampf angeschmorten Partie meines Halses zurecht. Nun werde alles gut, war sie sich sicher.
    »Trotzdem muss ich alles, und ich meine alles, jedes einzelne bizarre Detail, mit in den Bericht für meine Vorgesetzten aufnehmen.«
    »Wer war das noch mal, der Sie morgens gefunden hat,

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