Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
überlegen, ob ›es‹ den Preis wert war, den du gezahlt hast, mein Junge. Haben sie dir schon irgendetwas beigebracht?«
Ich schüttelte den Kopf. »Bisher habe ich mich mehr … von meinem Gefühl leiten lassen.«
»Und das hat dich mitten in dieses Schlamassel geführt, nicht wahr?«, fragte er mit angehobener Augenbraue. »Ich hoffe, du bist nicht der zimperliche Typ.«
»Zimperlich?«
»Du hast den Rest der Familie noch nicht kennengelernt, was?«
»Das wird er noch früh genug«, verkündete Syrolee und setzte sich in ihrem Thronsessel etwas aufrechter hin. »Und auch meine Tochter. Bist du verheiratet, Cayal?«
Der plötzliche Themenwechsel überrumpelte mich. »Ah … nein.«
Syrolee lächelte. »Gut.« Ihr raubtierhaftes Lächeln machte mich schaudern. Das tut es immer noch, wenn sie mich so ansieht.
Lukys bemerkte es auch. »Bei den Gezeiten, Syrolee! Meinst du nicht, der Junge sollte die Chance bekommen, sich etwas zu erholen, bevor du ihn mit Elyssa verkuppelst?«
»So etwas habe ich nie angedeutet!«
»Pass gut auf, Cayal«, warnte Lukys. »Dein königliches Geblüt macht dich womöglich gar zu einem passenden Ehegespons für unsere jungfräuliche Prinzessin.«
»Lukys, könntest du versuchen, einmal fünf Minuten lang nicht meine Familie zu beleidigen?«, mahnte Engarhod.
»Und was mache ich dann, um mich zu amüsieren?«
Jetzt schaltete sich Arryl ein, die ewige Friedensstifterin. »Syrolee, ist das etwa der Duft vom Mittagsmahl, den die Brise da heranweht? Das riecht ja wirklich wunderbar.«
Ich konnte überhaupt nichts riechen und Arryl vermutlich auch nicht. Aber selbst Diala schien bestrebt, dieses Gespräch zu beenden. »Ich glaube, du hast recht, Arryl. Es duftet köstlich, und ich bin am Verhungern.«
»Dann sollten wir uns zu Tisch begeben«, stimmte Syrolee widerwillig zu. Die Kaiserin reichte dem Kaiser die Hand, und sie erhoben sich gemeinsam. »Lukys, diese ekelhafte Kreatur will ich nicht bei Tisch sehen, werde sie gefälligst los. Es ist Zeit«, fügte sie mit einem Blick auf mich hinzu, »dass unser junger Prinz seine unsterblichen Brüder und Schwestern kennenlernt.«
Syrolee und Engarhod haben insgesamt vier Kinder, alle aus früheren Ehen. Diala sagte mir einmal, dass es Gerüchten zufolge ursprünglich viel mehr waren, aber der Verbrennungsprozess hat die schwächeren Mitglieder ihrer Familie eliminiert und nur die stärksten übrig gelassen, um in Ewigkeit weiterzumachen. Ob das Gerücht stimmte, konnte ich nie herausfinden, aber ich vermute, dass ein Körnchen Wahrheit darin enthalten ist. Syrolee macht auf mich durchaus den Eindruck einer Mutter, die gewillt ist, ihre Familienmitglieder einzuäschern, wenn sie dadurch bekommt, was sie will.
Lukys setzte Coron auf den Boden, und er huschte über die Marmorfliesen davon, um sich anderweitig zu amüsieren, während wir durch den riesigen Thronsaal schritten und uns über Lappalien austauschten. Lukys fragte mich nach Kordanien und nach meinen Eindrücken von Magreth. Es war alles recht unverfänglich, bis wir den Bankettsaal erreichten, wo uns die übrigen Sprösslinge des Kaiserpaars der Fünf Reiche erwarteten.
Die erste, die auf uns zukam, war Syrolees Tochter Elyssa. Unsere erste Begegnung werde ich nie vergessen. Überrascht starrte ich sie an. Wie Diala war sie erst achtzehn oder neunzehn gewesen, als die Ewige Flamme sie unsterblich gemacht hatte, aber sie war nicht in ihrer ersten zarten Mädchenblüte konserviert worden. Entgegen allen Gerüchten über die Schönheit der Gezeitenfürsten, die sich über die Jahrhunderte hinweg so hartnäckig gehalten haben, tut die Unsterblichkeit in Wahrheit nichts, um zu verbessern, womit die Natur uns ausgestattet hat. Aus hässlichen Sterblichen werden hässliche Unsterbliche, und zwar sowohl was ihre Persönlichkeit angeht als auch ihre physische Erscheinung. Narben mögen heilen, blatternarbige Haut wird sich erholen, aber nichts kann Schönheit schaffen, wo sie nicht ansatzweise vorhanden ist. Auch wenn ihre Haut makellos ist wie bei allen Unsterblichen, ist Elyssa mit ihren Zähnen, die so schief sind wie ein verwitterter Gartenzaun, und ihren wimpernlosen Augen, die so weit auseinanderstehen, dass man meint, sie wären durch ein Versehen dort gelandet, nicht gerade die unvergleichliche Schönheit, als die Euer Tarot sie darstellt.
Elyssa knickste und beäugte mich gierig. Sie trug wie ihre Mutter eine dicke weiße Puderschicht, die in ihren Kinnfalten unschön
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