Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
Willkommensfest für mich zu geben, erklärte Arryl. Natürlich benutzte sie nicht das Wort Lakai. So wie sie es sagte, klang alles sehr höflich und zivilisiert. Bald schon wurde mir klar, dass genau das Gegenteil zutraf, aber am Anfang freute ich mich noch.
Der Palast lag am Ufer des kristallklaren Sees, der sich im Krater eines erloschenen Vulkans gebildet hatte. Er wurde von einer Familie ignoranter Narren errichtet, die über unendlich viel Zeit und Ressourcen verfugte. Seine architektonischen Dimensionen sollten ihrem Unsterblichkeitsstatus gerecht werden. In erster Linie von Syrolee entworfen und eingerichtet, war der Palast ein Schrein vulgärer Großmannssucht. Syrolee ist früher eine Hure gewesen, und ihr Palast war -meiner Meinung nach – ein Beweis dafür, dass guter Geschmack ein Talent ist, das man entweder hat oder nicht hat, aber jedenfalls nicht lernen kann, auch nicht mit aller Zeit der Welt. Syrolee ist immerhin unsterblich, aber selbst nach neuntausend Jahren glaubt sie noch, dass guter Stil nur eine Frage des Geldes ist und Protz dasselbe wie Prunk.
Euer viel gerühmter Palast in Herino, der die Besucher achttausend Jahre später in Ehrfurcht und Erstaunen versetzt? Im Vergleich zu Syrolees Palast ist er klein und schäbig. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was das für ein Bauwerk war. Vor dem Eingang standen goldgesprenkelte Marmorsäulen eng beieinander, jede einzelne dicker als sechs Männer, die Kapitelle und Sockel mit purem Gold überzogen – am gesamten Palast arbeiteten mehrere tausend Sklaven über fünfzehn Jahre lang. Das erzählte mir Arryl, als wir ihn betraten, und ihr ironisches Lächeln verhieß, dass ich diese Geschichte noch oft zu hören bekommen sollte.
Ich konnte nicht anders, als man mich hineinführte, starrte ich mit offenem Mund alles an. Die endlosen Fußböden waren mit verschiedenfarbigem Marmor in einem komplizierten geometrischen Muster ausgelegt, durchsetzt mit goldgesprenkelten Travertinplatten, die Kanten in Silber gefasst. Die einzelnen Säle wirkten wie riesige Grotten, erbaut, um zu beeindrucken, die Decke so hoch, dass mir vom Hinaufsehen schwindlig wurde. Ich bin sicher, einige von ihnen dienten keinem anderen Zweck, als angestarrt zu werden. Der ganze Bau war eigens entworfen, um die geringeren Sterblichen einzuschüchtern, die es wagten, einen Fuß hineinzusetzen – und auch die anderen Unsterblichen.
Es gab einen Thronsaal – natürlich, und er war in ähnlichen Dimensionen erbaut wie der übrige Palast. An einer Seite offen, mit einer gewölbten, mit Perlmutt ausgekleideten Decke, war allein der Thronsaal etwa so groß wie ganz Dun Cinczi. Diala ging voran, Arryl und ich folgten ihr auf dem Fuße. Wir blieben vor dem Podium stehen, auf dem zwei juwelenbesetzte Thronsessel standen, die verdächtig danach aussahen, als seien sie aus purem, massivem Gold.
Engarhod saß auf dem rechten Thron, ein großer, kantiger Mann, der aussieht, als sei er um die fünfzig. Sein dunkles Haar ist an den Schläfen grau, damals trug er es in einem Pferdeschwanz, bekrönt von einem goldenen Stirnreif. Sein Gesicht ist gegerbt und verwittert von der Zeit, die er als Sterblicher lebte, und solange er nicht den Mund aufmacht, kann er recht majestätisch wirken. An diesem Tag trug er ein Wickeltuch aus gewobenen Goldfäden, seine Brust unter dem ergrauenden Brusthaar war von komplizierten Tätowierungen bedeckt. Jedes Mal, wenn ich Engarhod sehe, hat er andere Tätowierungen. Heutzutage lässt er sie nur noch auf die Haut malen, denn richtige Tätowierungen halten bei ihm nicht – sie heilen doch ständig, bevor die Tinte Zeit hat, sich einzufressen, wisst Ihr.
Zu seiner Rechten saß seine Gemahlin – Syrolee, die Kaiserin der Fünf Reiche. Die Hure, die zur Kaiserin aufgestiegen ist. Sowohl Arryl als auch Diala hatten mich gewarnt, aber auf ihren Anblick war ich trotzdem nicht vorbereitet. Sie trug dasselbe Wickeltuch wie Engarhod, aber unter den vielen Goldketten, die ihr um den Hals hingen, war es kaum auszumachen. Ihr Haar war in unzählige Zöpfe geflochten und in einer kunstvollen Hochfrisur aufgesteckt, das Gesicht weiß geschminkt, die dünnen Lippen mit einer blutroten Paste bemalt und ihre Augen dick mit Khol umrandet.
Ich versuchte, sie nicht anzustarren, aber es fiel mir schwer. Große Schönheit zieht die Blicke auf sich, aber Hässlichkeit, noch verstärkt durch schlechten Geschmack, macht es unmöglich, wegzusehen.
Diala trat vor, verneigte sich vor
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