Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
erzählt hast.«
»Warum?«
»Weil es das einzige Geschenk ist, das du mir geben kannst, ohne dass ich es mir selbst nehmen könnte.«
Auf eine etwas verdrehte Weise ergab das Sinn, also schmiegte sie sich wieder an ihn und dachte nach.
»Als ich etwa acht war«, begann sie und erinnerte sich an eine Begebenheit, die über die Jahre fast vergessen schien, »wurde mein Vater zum Palast bestellt, weil der Fürst krank war und sein Arzt nicht verfugbar. Das war der alte Fürst, Stellans Vater, und meine Mutter lebte damals auch noch, allerdings war sie hochschwanger. Der alte Fürst litt unter schlimmer Gicht, der arme Mann, und sie quälte ihn fürchterlich. Es gab noch eine Menge Ärzte in der Stadt, die der Fürst hätte holen lassen können, aber mein Vater und sein Leibarzt waren befreundet. Uns zuliebe arrangierte er immer, dass Papa für ihn einsprang, wenn er nicht da war. Ich glaube, er wusste, dass mein Vater niemals Almosen angenommen hätte – oder auch nur Bezahlung von der Hälfte seiner Patienten, was der Grund dafür war, dass wir so arm waren –, aber er wusste, wie dringend wir das Geld brauchten.
Normalerweise wäre ich bei einem solchen Besuch zu Hause geblieben, aber Mutter hatte einen besonders schlechten Tag und wollte mich nicht damit belasten, also nahm mich mein Vater mit zum Palast. Den ganzen Weg über ermahnte er mich wegen meiner Manieren; dass ich mit niemandem reden und nicht im Weg herumstehen sollte, was ich natürlich versprach und was ich natürlich nicht hielt.
Jedenfalls, sobald wir dort waren, war Papa verschwunden, um den Fürsten zu behandeln, und ich blieb in diesem gewaltigen Saal zurück, in den leicht unser ganzes Haus hineingepasst hätte. Natürlich fing ich an, herumzuschnüffeln, bis ich eine Tür fand, die unverschlossen war. Sie führte in ein Musikzimmer. Ich hatte bis dahin Musikinstrumente nur bei Straßenkünstlern gesehen, und wir lebten in der ärmeren Gegend der Stadt, daher waren sie meist ziemlich ramponiert und abgenutzt. Noch nie hatte ich etwas so Schönes erblickt wie die Zimbal, die auf einem Gestell am Fenster stand. Du hättest sie sehen müssen. Sie war geformt wie ein großes Stundenglas, schwarz lackiert und poliert, sodass sie wie ein Spiegel glänzte. Das geschnitzte Griffbrett hatte Intarsien aus Perlmutt und dazu passende Einlegearbeiten an den Rändern rechts und links der Saiten. Ich hatte nie zuvor etwas derartig Prachtvolles gesehen. Ich streckte die Hand aus und konnte sie fast schon berühren, als dieser Junge von ungefähr vierzehn die Tür aufstieß und zu wissen verlangte, wer ich war. Bei den Gezeiten! Er jagte mir einen solchen Schrecken ein, dass ich das verdammte Ding beinahe umgestoßen hätte.
Nachdem ich meinen Schreck überwunden hatte, erklärte ich, warum ich im Palast war, und dann kam der Junge herüber, nahm die Zimbal in die Hand und fragte mich, ob ich spielen könne. Als ich verneinte, bot er an, mir vorzufuhren, wie es klang. Wir müssen fast den ganzen Morgen in dem Musikzimmer verbracht haben. Ich glaube, Stellan spielte jedes Lied, das er kannte, und manche sogar mehr als einmal. Er erzählte mir, dass er kein sonderlich begabter Musiker sei, aber ich war erst acht, was wusste ich schon? Ich fand nur, dass das Instrument den schönsten Klang besaß, den ich je gehört hatte, und dass der Junge, der darauf spielte, der netteste Mensch war, den ich je getroffen hatte.
Es dauerte sicher mehrere Stunden, bis mein Vater mich fand und ich erfuhr, dass der Junge der Sohn des Fürsten war, und selbst dann war ich zu jung, um beeindruckt zu sein. Er versicherte meinem Vater, dass ich mich gut benommen hatte, verbeugte sich vor mir, als wäre ich eine richtige Dame, und verließ das Musikzimmer, nachdem er mich eingeladen hatte, wiederzukommen und ihn zu besuchen.«
»Das war der glücklichste Augenblick deines Lebens?«, fragte Cayal.
Sie zuckte die Achseln. »Als Erinnerung mag es vielleicht nicht so viel hermachen, aber gut eine Woche später hatte meine Mutter eine Fehlgeburt und starb, und danach war die Welt nicht mehr dieselbe.
Es war vielleicht nicht der allerglücklichste Augenblick, aber dieser Morgen war der letzte Zeitpunkt, an den ich mich erinnern kann, wo ich wahrhaft und rundum glücklich war.«
Arkady schwieg und ließ sich noch einmal von der Freude ihrer Erinnerung einhüllen. Da Cayal nichts weiter sagte, bückte sie zu ihm hoch und merkte, dass er ihr gar nicht mehr zuhörte.
»Cayal?«
Seine
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