Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
Desean. Wenn sie sich wie eine Fürstin kleidete, dann nur, weil sie ihre Rolle wie einen Auftrag behandelte – was es für sie wohl auch war, wenn man bedachte, was sie eben über ihren Mann preisgegeben hatte. Sie war nicht die Spur eitel, was Cayal faszinierte.
Unter den Gezeitenfürsten war Eitelkeit mehr als nur ein verbreiteter Charakterzug. Es war schon beinahe das, was sie ausmachte.
»Du hast gesagt, Jaxyn wird schon ein Auge auf das Land geworfen haben, das er zu regieren gedenkt …«, setzte sie an.
»Wenn ich du wäre, würde ich schon mal anfangen, den unterwürfigsten Hofknicks zu üben«, empfahl er und fügte dann weniger düster hinzu: »Aber vielleicht erst, nachdem du dir etwas angezogen hast.«
Als würde ihr erst jetzt bewusst, dass sie nackt war, legte Arkady die Arme um sich. Sic zitterte.
»Komm schon, Cayal!«, rief Jaxyn vom Hof her. »Ich weiß, dass du da drin bist!«
»Bitte, Cayal! Geh nicht da hinaus!«
Er war gerührt von ihrer Besorgnis, und das bestürzte ihn, weil ihn sonst eigentlich nichts mehr rührte. Es war schon eine Ewigkeit her, dass sich irgendjemand darum geschert hatte, was mit dem unsterblichen Prinzen geschah. Vielleicht war es das, was er an dieser Frau so betörend fand. Es war nicht nur ihre Schönheit. Auch nicht ihre Intelligenz. Diese Frau hatte alles aufs Spiel gesetzt – ihr Heim, ihren Titel, vielleicht sogar die Stellung ihres Gemahls bei Hof –, nur um ihm zu helfen, der Folter zu entgehen.
Und es war ja nicht so, dass Arkady Desean irgendeinen Vorteil davon hatte. Auch wenn Cayal sich gern sagte, dass er ein guter Liebhaber war, würde keine Frau nur für das zweifelhafte Vergnügen einer Nacht in seinem Bett ein solches Risiko eingehen …
Nein … trotz achttausend Jahren an Erinnerungen, auf die er zurückgreifen konnte, fiel ihm nicht eine Begebenheit ein, wo irgendeine Menschenseele bereitwillig so viel aufs Spiel gesetzt hatte, um ihm zu helfen.
Er trat ein wenig näher und ergriff ihre Hände. »Er kann mir nicht wehtun, Arkady. Naja … das stimmt nicht ganz. Er kann mir wehtun, aber er kann mich nicht töten. Und es dauert noch eine Weile, bis die Flut da ist, also bin ich ziemlich sicher, dass es in seinem Interesse liegt, dich in einem Stück zu deinem Mann zurückzubringen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Als er sah, dass seine Versicherungen nichts bewirkten, küsste er sie auf die Stirn. »Zieh dich an. Bestimmt willst du nicht, dass der schmierige kleine Widerling dich hier nackt antrifft.«
Arkady sah durchgefroren und höchst unglücklich aus, aber sie nickte und eilte zurück in Maralyces Schlafzimmer. Cayal drehte sich um und sah aus dem Fenster. Die Crasii, mit denen sie von Clydens Gasthof hierhergekommen waren, hatten sich alle Jaxyn angeschlossen. Das erklärte, warum Chikita ungefragt aufgetaucht war, um zu melden, dass keine Verfolger in Sicht waren. Sie hatte nicht auf Cayals Befehl gehandelt, sondern auf Jaxyns. Der musste sie zur Hütte geschickt haben, um zu erfahren, ob er und Arkady noch da waren. Da die Gezeiten wechselten, konnte er nicht selbst nachsehen kommen, ohne Cayal seine Anwesenheit zu verraten.
»Du machst es nur schlimmer für dich!«
Die Gegenwart seiner Nemesis machte Cayal keine Angst. Bei dem niedrigen Stand der Gezeiten konnte keiner von beiden viel tun, was dem anderen Schwierigkeiten bereiten würde. Selbst bei Flut war es strittig, wer von beiden mehr Macht hatte. Cayal war geneigt zu glauben, dass er es war, ebenso wie es Jaxyn gefiel, sich vorzustellen, dass er der Stärkere sei. Sie hatten bis jetzt nie einen Grund gehabt, es tatsächlich auszukämpfen.
Vielleicht war es ein Segen für jedes lebende Wesen auf Amyrantha, dass die Gezeiten vorerst noch so tief standen. Denn dies konnte sehr hässlich werden.
»Cayal.«
Er drehte sich um und stellte fest, dass Arkady sich in Windeseile angekleidet hatte, auch wenn sie noch dabei war, sich das Hemd in die Hose zu stecken. Ihr zerzaustes Haar war ein deutlicher Hinweis auf ihren wilden Liebesakt. Maralyce besaß vermutlich keinen Spiegel, aber selbst wenn – bei Arkadys Mangel an Eitelkeit hätte sie womöglich gar nicht hineingeschaut.
»Es tut mir leid, Arkady.«
»Was denn?«
»Dass ich dich in meine Welt hineingezogen habe. Du gehörst hier nicht her.«
Sie zuckte gleichmütig die Achseln. »Vor dem Hintergrund, dass der Mann da draußen der Liebhaber meines Gemahls ist, der laut deiner Aussage Glaeba übernehmen und uns
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