Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
günstig, dass Ihr rein zufällig aus einem Land stammt, dessen Existenz niemand je nachweisen konnte? Sodass sich der Wahrheitsgehalt Eurer Angaben nicht vor Ort überprüfen lässt?«
»Nein, Frau Doktor, das kann ich ganz und gar nicht günstig finden. Ich finde es im Gegenteil recht übel, dass alles, was ich einst kannte und liebte, von Tryan zerstört wurde, nur weil er ein … ein Hundsfott ist.«
»Tryan?« Arkady erinnerte sich, dass dieser Name in Tillys Tarot vorkam. »Ihr meint Tryan den Teufel?«
»Nennt er sich jetzt so?« Cayal schüttelte den Kopf. »Arrogantes Aas.«
»Ihr glaubt also, dass der Gezeitenmagier Tryan die erste Naturkatastrophe verursacht hat, die Kordanien und Fyrenne zerstörte?«, hakte Arkady nach, um nicht vom Thema abzukommen.
»Das glaube ich nicht, das weiß ich«, verbesserte sie Cayal. »Ich war schließlich dabei, vergesst das nicht. Übrigens wurde Fyrenne erst Jahre nach Kordanien zerstört. Und es war Elyssa, die dieses friedfertige Völkchen von Amyranthas Erdboden fegte, nicht Tryan.« Er wandte sich halb von ihr ab und lehnte sich an die Gitterstangen. »Bei den Gezeiten, rechnet Tryan bloß nicht noch mehr an, als ihm gebührt. Er ist ohnehin schon unerträglich.«
Unwillkürlich bewunderte Arkady die Geistesgegenwart des Gefangenen. Er sprach mit echter Überzeugung, nicht als hätte er diese mythologischen Gestalten studiert und auswendig gelernt, sondern als würde er sie tatsächlich persönlich kennen. Dies war kein gewöhnlicher Verbrecher. Er erwies sich als weit intelligenter, als seine missliche Lage vermuten ließ.
Womit sich ihr eine weitere Frage aufdrängte: Aus welchem Grund ist er wirklich hier in Glaeba?
Wäre es möglich, überlegte sie, dass er in Wahrheit ein caelischer Agitator ist?
Wenn die Königin von Caelum etwas im Schilde führte, um sich für die Beleidigung von Prinzessin Nyah zu rächen, warum sollte sie sich nicht eines speziell dafür ausgebildeten Agitators bedienen?
Nimm einen gut aussehenden und möglichst jungen Burschen, der nicht auf den Kopf gefallen ist, und lass ihn sich als Gezeitenmagier ausgeben. Lass ihn Tillys Tarot auswendig lernen. Wirf noch ein paar unüberprüfbare Fakten dazu, um der Geschichte den Anschein von Authentizität zu verleihen. Würze das Ganze mit hinreichend Crasii-Folklore, sodass es halbwegs plausibel klingt – und dann kannst du dich entspannt zurücklehnen und genüsslich zusehen, wie die Dinge ihren Lauf nehmen.
Das käme mit Sicherheit billiger, als Glaeba den Krieg zu erklären.
Ihr Gedankengang brachte sie wieder auf ihren ursprünglichen Fragenkatalog. Cayals Behauptung, unsterblich zu sein, war das schwächste Glied seiner Geschichte und vermutlich der einfachste Weg, ihn zu entlarven. Beinahe bewunderte sie die Komplexität dieses Plans, denn jetzt war klar, dass sie den Gefangenen keinesfalls erneut hinrichten lassen konnten: Starb er, so war zwar seine Behauptung widerlegt. Aber damit wären sie auch ihren Beweis los, dass sich in Glaeba ein caelischer Agitator befand.
Dieser Mann ist vielleicht nicht unsterblich, überlegte sie, aber er hat offenbar herausgefunden, wie er den Tod umgehen kann.
»Lasst uns auf Eure Unsterblichkeit zurückkommen«, befahl Arkady und setzte sich auf den Stuhl, den der Kerkermeister hatte bereitstellen lassen. »Wie funktioniert das?«
»Ich sterbe nicht.« Cayal wandte den Kopf, um sie anzusehen. »Das ist die Bedeutung des Wortes unsterblich. Ich dachte, das sei Euch bekannt, Frau Doktor. Ihr solltet gebildet genug sein.«
»Also, Ihr … wie ist das genau? Ihr seid unverwundbar, könnt durchs Feuer gehen, Euch jeden einzelnen Knochen brechen und bleibt trotzdem unversehrt?«
»Wenn es doch so wäre!«, rief Cayal aufbrausend. »Ich bin so verwundbar wie jeder andere Mensch. Nur heile ich anschließend schnell wieder.«
»Und wenn Ihr ein Körperteil verliert?«
»Es wächst wieder nach.«
Arkady lächelte. »Ach was.«
»Wirklich«, versicherte ihr Cayal. Er schaute ihr ins Gesicht und streckte seine rechte Hand durch das Gitter. »Seht, hier. Krydence hat mir einmal meine rechte Hand abgehauen. Ist tadellos nachgewachsen.«
Arkady war nicht so leichtsinnig, sich in Reichweite seiner Hand zu begeben, und wozu auch? Natürlich gab es da keinerlei Narben oder sonstige Spuren, um seine abstruse Behauptung zu untermauern. Gerade das machte seinen Schwindel ja so wirkungsvoll.
»Wie lange hat es gedauert, bis sie nachgewachsen war?« Arkady
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