Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
Wange zu küssen. »Außerdem wollte ich dich überraschen. Guten Abend, Jaxyn.« Über den Tisch nickte er seinem Geliebten zu. Der junge Mann neigte nur den Kopf, zu routiniert, um die Natur ihrer Beziehung durch irgendeine Indiskretion zu verraten. Dann wandte sich Stellan seiner Nichte zu. »Und wie geht es meiner Kleinen heute Abend?«
»Sehr gut, Onkel Stellan«, versicherte sie, als er sie auf die Wange küsste. »Ihr seid ja ganz nass, regnet es immer noch? Seit Tagen gießt es in Strömen. Seit Jaxyn mich vorgestern auf eine Partie Stocherkahn mitgenommen hat.«
»Dann muss es ja immerhin für ein Weilchen aufgehört haben.« Wieder küsste Stellan sie und wandte sich dann zur Tür. »Ich habe eine Überraschung mitgebracht.«
»Für mich?«, fragte Kylia mit leuchtenden Augen.
»Für euch alle«, berichtigte er. »Mathu!«
Auf seinen Ruf trat der Kronprinz in den Bankettsaal und ging an der langen Tafel entlang zum hinteren Ende, wo Arkady, Jaxyn und Kylia ihr Abendessen einnahmen.
Als sie ihn erkannte, sprang Arkady auf. »Königliche Hoheit!«
»Lady Desean. Ihr seht einfach hinreißend aus, wie immer.«
»Was zum … ich meine …« Sie sah Stellan erklärungsheischend an, offensichtlich entsetzt. »Ich meine … was für ein unerwartetes Vergnügen, Hoheit.«
»Sehr unerwartet.« Jaxyn erhob sich, auch er sah Stellan fragend an. Dann verneigte er sich vor Mathu. »Eure Königliche Hoheit.«
»Lord Aranville.« Mathu verbeugte sich kurz. »Euer Cousin hat erwähnt, dass Ihr hier in Lebec weilt. Er sagt, Ihr seid sein Zwingermeister. Und Ihr habt eine außergewöhnliche Gabe, mit den Crasii“ umzugehen.« Noch während er mit Jaxyn sprach, wanderte der Blick des jungen Prinzen zu Kylia.
»Euer Hoheit sind zu freundlich«, erwiderte Jaxyn und bedachte Stellan mit einem Blick, der Bände sprach. Glücklicherweise hatte Mathu nur Augen für Kylia – womit Stellan nicht gerechnet hatte. Für ihn war Kylia noch ein Kind. Immer wieder vergaß er, dass sie fast erwachsen war – und mit Sicherheit alt genug, um die Aufmerksamkeit eines jungen Prinzen auf sich zu ziehen.
»Dies muss Eure reizende Nichte sein!«, rief Mathu aus, als er zu ihrem Stuhl trat. Kylia war sitzen geblieben, offenbar alles andere als begeistert. »Ihr erinnert Euch wohl nicht mehr an mich, Mylady?«
Kylia nickte und zog einen Flunsch. »Und ob ich mich erinnere. Ihr habt mich auf einer Neujahrsparty in Herino in den See gestoßen, als ich neun war.«
»Die korrekte Anrede für den Kronprinzen lautet Eure Königliche Hoheit, Kylia«, erinnerte sie Arkady sanft, und Jaxyn verschluckte sich an seinem Wein.
Alle Anwesenden sahen ihn besorgt an, aber als sie ihm beistehen wollten, winkte er ab.
»Schon gut«, keuchte Jaxyn. »Das ging nur in die falsche Kehle.« Er setzte sich und verbarg das Gesicht hinter seinem Wasserglas.
Arkady wandte sich wieder Kylia zu, die über Jaxyns Missgeschick eher amüsiert als besorgt schien. »Ich bin sicher, Seine Hoheit bedauert etwaige unglückliche Missverständnisse aus der Kinderzeit.«
»Ist schon in Ordnung, Euer Gnaden«, versicherte Mathu. »Ich war damals ein kleines Ungeheuer. Wenn Ihr meinen Cousin Reon fragt, bin ich das immer noch.« Er wandte sich wieder an Kylia. »Ich habe Euch wirklich in den Unteren Oran gestoßen, Lady Kylia?«
»Ja, Hoheit, das habt Ihr getan.«
Er nahm ihre Hand und küsste sie entschuldigend. »An eine so abscheuliche Tat kann ich mich nicht erinnern, aber wenn Ihr es sagt, muss es wohl stimmen. Wenn ich geahnt hätte, dass Ihr einmal eine so charmante junge Dame werdet, Mylady, hätte ich Euch gewiss nicht in den See getunkt.«
»Das reicht jetzt, mein Junge«, warnte Stellan, als Kylia dem jungen Prinzen ein Lächeln schenkte, das für Stellans Seelenfrieden etwas zu verführerisch ausfiel.
Wo hat sie gelernt, so zu flirten? Doch wohl nicht in einem Institut, das junge Damen des Hochadels die Feinheiten der höfischen Etikette lehren soll? Die Schule ist ja so stolz darauf, dass ihre Absolventinnen stets eine gute Partie finden – vielleicht bringen sie ihnen mehr bei als nur die Klassiker?, grübelte Stellan.
Er begann zu bedauern, dass er seine verwaiste Nichte so lange in fremder Obhut gelassen hatte. Zu seiner ewigen Schande hatte er Kylia nicht einmal erkannt, als sie im Palast angekommen war, und je mehr er über sie erfuhr, desto weniger verstand er sie. So wie sie den Prinzen eben hatte auflaufen lassen, musste sie an der Schule
Weitere Kostenlose Bücher