Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
funktioniert hat.«
Balen sah keinen Anlass, an ihrer Behauptung zu zweifeln. Stattdessen wurde er sehr nervös. Ihr wachsender Trotz stand in solchem Widerspruch zu dem Mangel an Widerstand, den sie bisher gezeigt hatte, dass er sich ernsthaft nach dem Grund fragen musste.
Wurzelte ihre Zuversicht in der Nachricht, dass einer ihrer unsterblichen Brüder in der Nähe war? Wir können einander in den Gezeiten spüren, hatte sie gesagt. Das bedeutete, wenn ein anderer Unsterblicher ihre Nähe fühlen konnte, dann konnte sie auch ... Gezeiten!
»Geh ins Haus, schnell!«, befahl er Minark. »Sag deiner Mutter und deiner Schwester, sie sollen schleunigst packen, nur was sie tragen können. Wir müssen fliehen. Los!«
»Fliehen?«, fragte Minark verwirrt. »Warum sollen wir fliehen? Vorak sagte, der Fremde hat nach ihr gefragt und ist dann weitergezogen. Keiner hat ihm was gesagt.«
»Das musste auch keiner, Minark«, sagte Balen und schob ihn zum Ausgang der Schmiede. »Hast du ihr nicht zugehört? Sie können sich gegenseitig in den Gezeiten spüren. Er weiß, dass sie hier ist. Das heißt, er ist wahrscheinlich auf dem Weg. Und wenn er uns hier mit ihr findet...«
»Aber es könnte auch einer der niederen Unsterblichen sein, Taryx oder Rance ...«
»Bist du willens, für diese Vermutung das Leben deiner Mutter zu riskieren, Sohn?«
Der Junge zögerte noch einen Augenblick und starrte auf die unsterbliche Frau, dann fuhr er herum und floh. Balen griff sich einen Hammer von der Esse und schob ihn in den Gürtel für den Fall, dass er eine Waffe brauchte, dann wandte er sich Lyna zu. Sie stand an den Gitterstäben des Käfigs, den sie für ihre Verwahrung gebaut hatten. Aus ihrem Handstumpf sprossen nun bereits kurze Fingerstummel. Obwohl sie im Augenblick noch heftige Schmerzen litt, nahm er an, dass sie jeden Moment geheilt sein würde. Ihre Genesung beschleunigte sich zweifellos noch, seit sie wusste, dass einer ihrer Art in unmittelbarer Nähe war.
»Es war nichts Persönliches«, sagte er, als könne eine Erklärung oder Entschuldigung jetzt noch etwas ändern.
Sie starrte ihn wütend an und reckte ihren verstümmelten Arm. »Glaub mir Balen, du hast es äußerst persönlich gemacht.«
Er schüttelte den Kopf und fragte sich, was er zu erreichen hoffte, indem er sich noch länger hier herumdrückte und Erklärungen stammelte. Er hatte diese Kreatur über Wochen unablässig gefoltert. Es war fraglos zu spät, um Verzeihung zu bitten. »Du musst ihnen sagen ... dass ich das verbrochen habe. Nicht meine Familie.«
»Ich bin sicher, das wird ihnen ein großer Trost sein, wenn sie sterben.«
Balen starrte sie an. Womöglich begriff er erst jetzt die Tragweite dessen, was er angerichtet hatte. »Gibt es keine Hoffnung auf Gnade?«
Lyna musterte ihn forschend und nickte dann. »Anders als du denkst, sind wir keine Bestien, Balen. Du willst Gnade für dich und deine Familie?« Die Unsterbliche lächelte kühl und zeigte ihre perfekten Zähne. »Dann werde ich dafür sorgen, dass du sie bekommst.«
»Wirklich?«
»Wirklich. Es wird mir eine Freude sein. Wenn meine Freunde kommen, um mich zu befreien, werde ich anregen, dass sie dir all die Gnade zuteilwerden lassen, die du mir erwiesen hast.«
»Wenn deine Freunde kommen«, betonte er.
»Oh, da kannst du jetzt sicher sein«, bemerkte eine tiefe Stimme hinter ihm.
Erschrocken fuhr Balen herum und erblickte einen Fremden, der im Eingang der Schmiede stand. Er war ein großer Mann in einer ledernen Rüstung, darüber fiel ein dunkelroter Umhang, den auf der rechten Schulter eine juwelenbesetzte Fibel zusammenhielt.
»Kentravyon!«, rief Lyna, sobald sie ihn sah, obwohl Balen keiner Vorstellung mehr bedurfte.
Er zog sich in Richtung der Esse zurück. Natürlich hatte er keine Chance, einen Unsterblichen zu besiegen, schon gar keinen so mächtigen Gezeitenfürsten wie Kentravyon. Aber möglicherweise konnte er ihn lange genug beschäftigen, um den anderen Zeit zur Flucht zu verschaffen.
»Du hast meine Freundin verletzt«, sagte der Unsterbliche und kam auf ihn zu.
»Das war ... wir wollten nur ...«
»Ich weiß, was ihr wolltet«, sagte Kentravyon. Er klang gar nicht wütend. Er klang gelassen, beinahe gelangweilt. »Ihr habt versucht herauszufinden, wie man uns tötet, stimmt's?«
Balen nickte und fühlte den warmen Stein der Esse im Rücken. Es war zu spät zum Davonlaufen. Er konnte nirgends mehr hin.
»Es muss schwer für euch sein, euch mit der
Weitere Kostenlose Bücher