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Falsche Brüder

Falsche Brüder

Titel: Falsche Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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raffte sein Gewehr auf, sprang zurück, verhielt
dann doch und beobachtete, wie sein Befehl wirkte.
    Ich kam nicht sogleich in den Stand, einige Meter rannte ich
auf allen Vieren, stolperte dann in die Aufrechte. Das Gewehr
schleifte ich, am Lauf gefasst, hinter mir her.
„Sammeln, dort hinter der Baumgruppe“, hörte ich.
    Wir hasteten zurück, die gesamte dünne Kämpferkette auf
mehreren hundert Metern Länge rannte zurück. Hinter und
neben mir hörte ich es keuchen. Und zum ersten Mal, seit ich als
Neuling ganz vorn eingesetzt war, gestand ich mir ein: „Tapfer
sind wir, bist du, Igor, nicht gerade!“
    Ich erreichte den Wald, verlangsamte den Lauf, fiel in den
Schritt, verhielt ganz und gar, blickte mich um.
Wir hatten fast alle gleichzeitig den dünnen Waldstreifen
erreicht, so als gönnte einer dem Anderen den Vorsprung nicht,
den Vorsprung in eine Scheinsicherheit. Denn wie hieß es in
der schnoddrigen Anleitung: Wenn sie ein Gebiet ausgiebig
beharkt haben, dann rücken sie beharrlich bis zu dieser Linie vor.
Und treffen sie dabei auf keinen Widerstand, dann ist man in
dieser Zeit sicher. Bis das Spiel von neuem beginnt.
Ich hatte mich nicht zu fragen getraut, wo da überhaupt der
Sinn liege, dass wir nun gleichsam nackt dem Gegner in
vorderster Linie entgegenträten, wenn wir dann nach seiner
Taktik doch nur vor ihm herliefen. Ich erinnere mich nicht, dass
in diesen zwei Tagen auf unserer Seite auch nur ein Schuss
gefallen wäre, aber drei Tote hatte es gegeben. Und ob jetzt alle
überlebt hatten?
Ich drang in den lockeren Wald ein. Auf der anderen Seite
könnte man bereits wieder einen Kahlschlag sehen. Ich ging
noch etliche Schritte, bis ich gewahrte, dass die Kameraden sich
zwischen den wie gesät liegenden Steinen lagerten. Da lehnte
ich mich gegen eine Birke und starrte durch die Zweige in den
Himmel. Was für eine sinnlose Unternehmung! Zweimal hatte
ich nun erlebt, wie die vorrückten, zweimal dieses Blitzinferno
über mich ergehen lassen; das zweite Mal war ich davongelaufen.
Ich biss die Zähne zusammen, dass die Kaumuskeln
schmerzten. Wie der ausgesehen hat! Ich erinnerte mich des
toten Kameraden – ich glaube, er hieß Stephan –, den es beim
ersten Angriff unmittelbar neben mir erwischt hatte. Im Sprung
hatte ihn der Blitz getroffen, ihn niedergestreckt, den Körper
langgepeitscht, als schnellte eine gespannte Feder zurück. Er lag
und rührte sich nicht mehr. Noch einen kurzen Augenblick
drangen rings aus seinem Körper kleine Funkengarben in den
Boden.
Mehr hatte ich nicht wahrgenommen, denn da rannte ich, von
Entsetzen gepackt, bereits nach hinten, ungeachtet der noch
berstenden Entladungen neben mir.
Und liegen gelassen hatten sie diesen Stephan. Es bestand
keine Chance, die Toten zu bergen, auch die Verwundeten nicht,
sollte es welche gegeben haben.
„Na, geht’s schon besser?“
Ich benötigte eine Sekunde, um mich zurückzufinden. Hugh
stand neben mir und blickte mich aus den unter buschigen
Brauen liegenden guten Augen ein wenig spöttisch, ein wenig
schmerzerfüllt an.
Hugh, obgleich fast doppelt so alt wie ich, war mir von allen am
sympathischsten. Oder mochte ich ihn, weil er schon ein alter
Hase war, der von Anfang an vor den Invasoren einherlief, darin
die meiste Erfahrung hatte? Muss man so einen nicht
sympathisch Enden, bot er in seiner Person nicht die
Überlebenschance, allein weil man von seinen Erfahrungen das
eigene Verhalten herleiten konnte? Und das umso mehr, je besser
man sich mit ihm stand?
Nein, Hugh war einfach ein Kumpel, kehrte nicht den
Vorsprung hervor, den er vor den Neulingen hatte, protzte
nicht. Aus dem wenigen, was man von ihm erfahren konnte,
war zu schließen, dass er ein Unikum war, einer,
dem
Mutterwitz in die Wiege gelegt worden ist.
Und auch jetzt strahlte dieses etwas zerknitterte, runde Gesicht
mit dem dichten, verworrenen Haarkranz drum herum, den
schlecht rasierten Wangen, der breiten, ein wenig negroiden
Nase so viel Vertrauen aus, dass ich keinen Grund sah, auch nur
irgendetwas zu verheimlichen, und sei es noch so eine
Bagatelle, aber es war keine. Ich schüttelte den Kopf. Nein, es
ging mir nicht besser, hundeelend war mir – zum Davonlaufen.
„Du gewöhnst dich“, sagte Hugh. Und es klang tröstlich, nicht
nur so dahingesagt. Eine Sekunde lang legte er die Linke auf
meine Schulter.
„Und der Sinn?“ Ich fragte es bitter.
Hugh zog die Augenbrauen hoch, machte ein Na-weiß-man’sdenn-Gesicht. „Der

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