Falsche Opfer: Kriminalroman
stieß ihn um und drückte sein Gesicht mit dem Fuß ins schlammige Gras.
»Mach halblang«, sagte Hultin neutral.
Nyberg kam in dem Moment um die Ecke, in dem Söderstedt heraustrat.
Nyberg sank neben Kerstin auf die Knie. »Verdammt noch mal, Kerstin«, sagte er still. »Was hast du gemacht?«
»Viel zu wenig«, sagte Kerstin Holm und lächelte angestrengt.
Söderstedt steckte seine Pistole ins Achselhalfter und seufzte: »Stellt euch vor, was passiert wäre, wenn Niklas Lindberg auch hier gewesen wäre ...«
»Wo ist Eurydice, verflucht?« sagte Paul Hjelm und fiel in Ohnmacht.
Jan-Olov Hultin dachte an Kraut und Unkraut.
Dann kotzte er.
38
I n Stockholm war es indessen sonnig am Samstag, dem zehnten Juli. Tatsächlich war es denkbar höchster Hochsommer. Die Stadt rang förmlich nach Luft unter ihrer Decke von Sonnendunst. Wo immer es ein Fleckchen grünes Gras gab, lagen die Menschen verstreut, wie von der Stadt ausgestoßen – der Schweiß der Stadt. Die Wolken hatten sich davongemacht, um nicht wegzutrocknen, und die Sonne schien der Erde ein paar Schritte näher gekommen zu sein, wie um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Sie traute ihren Augen nicht – und schob sich noch näher heran.
Sara Svenhagen saß zusammen mit einer Busladung Deutscher in Sundbergs Konditorei am Järntorg in Gamla Stan. Weil eine Busladung Deutscher kaum in Sundbergs Konditorei am Järntorg in Gamla Stan hineinpasst, war es ein wenig eng.
Sie wollte es ein wenig eng.
So eng wie möglich.
Sie wartete, und während sie wartete, ging sie die letzten Tage noch einmal durch. Legte sich Rechenschaft ab über den jüngsten Teil ihres Lebens. Hätte sie etwas anders machen können? Sie drehte und wendete das Geschehene und fand keinen direkt falschen Schritt. Ihre Schritte waren gerade und bestimmt und führten unweigerlich hierher. Zu diesem Punkt.
›Brambo‹ hatte sie hergeführt.
Eine Signatur im Internet. Das, was vor dem @ in einer E-Mail-Adresse steht.
Sie rekapitulierte: Über den Rechner des passiven Pädophilen John Andreas Wireus hatte sie eine Anzahl von Homepages mit Kinderpornographie lokalisiert, die ihr unbekannt waren. Sie lagen gut versteckt hinter harmlosen Titeltexten und machten sich damit für die Suchmaschinen des Internets unauffindbar. Auf diesen Homepages fand sie eine ganze Reihe weiterer Signaturen, von denen einige schwedisch waren oder auf jeden Fall zu schwedischen Telefonnummern zurückverfolgt werden konnten, was nicht richtig dasselbe war. Diese Signaturen taten ihr Bestes, um unidentifizierbar zu bleiben, konnten aber in günstigen Fällen bei genauerer Nachforschung identifiziert werden. Es zeigte sich, dass diese Signaturen sämtlich in dem umfangreichen internationalen Ermittlungsmaterial vorkamen, wovon ein Teil von der Abteilung für Pädophilie beim Reichskriminalamt geschrieben worden war, zu der sie selbst gehörte. Sämtliche Signaturen außer einer: ›brambo‹. Auf allen Homepages, auf denen dieser ›brambo‹ erwähnt war, gab es auch einen ›rippo_man‹. Dieser ›rippo_man‹ war bereits, wie sich zeigte, unter anderem wegen Kindesmissbrauchs vorbestraft, und das dank des schwedischen Polizeibeamten, der ihn gefasst hatte. Dieser schwedische Beamte hätte auch ›brambo‹ fassen oder zumindest ausforschen müssen, weil ›rippo_man‹ und ›brambo‹ auf den versteckten Pädophilen-Homepages unzertrennlich waren. Das war jedoch nicht der Fall. ›Brambo‹ war absichtlich aus dem Ermittlungsmaterial ausradiert worden. Und in sämtlichen Fällen zeichnete derselbe Mann für die Ermittlung verantwortlich. Sara Svenhagens eigener Chef, Kriminalkommissar Ragnar Hellberg.
Entweder würde sie Hellberg direkt angehen oder versuchen, mehr über ›brambo‹ herauszufinden, und sei es nur, um bei einer direkten Konfrontation mit Hellberg mehr vorweisen zu können. Sie entschied sich für letzteres. Das war nicht ganz einfach.
›Brambo‹ war eine wirklich gutgetarnte Figur. Es war klar zu erkennen, dass er nicht beabsichtigte, seine geheimen Lüste ans Tageslicht kommen zu lassen. Er benutzte ein paar richtig avancierte illegale Programme, die aus dem Internet heruntergeladen werden konnten und die Quelle vollständig unkenntlich machten. Wenn man diese Programme miteinander verknüpfte, was professionelle Programmierfähigkeit erforderte, konnte man sich anonym im Internet bewegen, darin waren sich alle Experten, mit denen sie sich unterhalten hatte, rührend einig.
Da
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