Falsche Opfer: Kriminalroman
sechsundzwanzig am Samstag, dem zehnten Juli.
Es war ein scheußlicher Tag. Es regnete Bindfäden. Eins dieser Unwetter, die für alle schönen Tage Rache nehmen und die Statistik ausgleichen zu wollen scheinen. Es gab so gut wie keine Sicht. Sie aktivierten alle ihre Walkie-Talkies, stopften sich die Stöpsel in die Ohren und gingen los.
Alle außer Hjelm und Holm, die um das Gebäude herumgingen, bewegten sich auf den Eingang des anspruchslosen Hotels zu. Bei der Treppe trennten sich Nyberg und Chavez von der Gruppe und schlichen mit je einem kleinen Hocker in der Hand langsam an der Hotelwand entlang zur Ecke, die dem Garten zugewandt lag; ihr Ziel waren die Fenster an der Ecke. Hultin nahm Norlander und Söderstedt mit ins Hotelvestibül. In der Rezeption lungerte die Sparversion eines Piccolos herum.
»Zimmer 12«, sagte Hultin und zeigte seinen Ausweis. »Eine junge Frau. Wir haben vor zwei Stunden miteinander telefoniert.«
Die Piccolovariante reagierte nicht nennenswert auf den Anblick des kriminalkommissarlichen Ausweispapiers. Der Mann senkte lediglich den Blick zu einem vor ihm aufgeschlagenen Gästebuch. »Karlsson«, sagte er schleppend. »Sonja Karlsson. Sie hat Besuch.«
»Von vier Männern?« sagte Hultin.
»Drei. Einer ist gerade gegangen.«
»Wie lange ist das her?«
»Fünf Minuten vielleicht. Zehn.«
»Wagen?«
»Ich hörte einen Wagen starten. Aber er war nicht hier vor dem Haus geparkt.«
»Okay«, sagte Hultin. »Schließen Sie sich jetzt für eine Weile im Büro ein.«
Die Piccoloimitation öffnete zum ersten Mal ganz die Augen. Das war die einzige Reaktion. Dann verschwand er im Hinterzimmer.
Hultin, Söderstedt und Norlander gingen durch eine Doppeltür in den Gang und zogen ihre Dienstwaffen. Langsam bewegten sie sich auf Zimmer 12 zu. Die Ziffern leuchteten wie eine Luftspiegelung von der Tür am Ende des Gangs.
Hjelm und Holm nahmen den Hintereingang. Sie kamen von der entgegengesetzten Seite und mussten sich an einer Reihe unbelebter Balkone entlang arbeiten, die alle von hohen Zäunen mit Kletterpflanzen umgeben waren. Beim letzten Zaun blieben sie stehen. Hjelm nickte.
Holm spähte um die Ecke. »Schwer zu sehen«, flüsterte sie. »Scheißregen.«
»Wir sind da«, flüsterte Gunnar Nyberg ins Walkie-Talkie. »Die Gardinen sind zugezogen. Wir erkennen Bewegung, aber nicht viel mehr.«
»Wir sehen nichts«, sagte Holm. »Wir müssen näher ran.«
»Sie müssen da sein«, flüsterte Hultin. »Wir haben die Bestätigung, dass drei von ihnen da sind. Ich wiederhole: Drei sind da, einer ist weg.«
»Eurydice?« sagte Nyberg.
»Sie ist auch da. Wahrscheinlich haben sie die Waffen auf sie gerichtet. Also größte Vorsicht. Wir stehen genau vor der Tür und müssen exakt wissen, was drinnen vor sich geht. Paul und Kerstin?«
»Wir gehen jetzt dichter heran.«
Kerstin Holm schlich voran. Es patschte hörbar im matschigen Gras. Hjelm war dicht hinter ihr. Erst auf halbem Weg sahen sie die Tür genauer. Es war eine klassische Balkontür, unten Holz, oben Glas, unter der Tür eine kleine Treppe. Sie schlichen geduckt bis an den Fuß der Treppe. Sie waren durchnässt, wischten sich das Wasser aus den Gesichtern. Hjelm deutete auf sich. Dann richtete er sich langsam auf. Die Stirn, die Augen über die Fensterkante. Wasser lief an der Scheibe herab.
Durch den Wasserschleier sah er drei Männer mit Gesichts-Masken und eine Frau im Schlüpfer. Einer der Männer zog seine Hose herunter und kletterte auf die Frau, um sein Glied an ihr Gesicht zu führen. Er hielt eine Pistole in der Hand. Die beiden anderen hatten jeder eine Pistole im Hosenbund.
Hjelm schnitt eine Grimasse und sank wieder nach unten. Er flüsterte ins Walkie-Talkie: »Sie wird jeden Moment vergewaltigt. Der Vergewaltiger hat eine Pistole in der Hand. Die beiden anderen im Hosenbund. Das Kopfende des Bettes zeigt in eure Richtung, Jan-Olov, unmittelbar rechts, hinter der Tür, wenn sie aufgemacht wird. Ihr kommt nicht richtig an ihn ran. Wir müssen ihn vom Balkon aus nehmen. Wenn ihr reinkommt, steht der Meisterschütze ›Kulan‹ direkt geradeaus, der dritte links, gleich vor eurem Fenster, Gunnar.«
»Okay«, flüsterte Hultin. »Gunnar und Jorge, seht ihr was?«
»Nein«, flüsterte Chavez. »Wir müssen erst das Fenster einschlagen, dann die Gardine wegziehen. Das wird schwer.«
»Okay, dann wir und ihr, Paul«, sagte Hultin. »Das Holz der Tür eintreten oder das Glas zerschlagen?«
Paul blickte Kerstin
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