Falsche Opfer: Kriminalroman
kam ihr der Gedanke, dass Hellberg sich ganz einfach eines leichteren Dienstvergehens schuldig gemacht haben konnte: Er hatte ›brambo‹ ausradiert, weil er unerreichbar die langsamen Finanzroutinen an der New Yorker Börse diskutierte. Sie gab sich galant als sexy Doofe mit Problemen aus und erhielt pubertäre, testosteronpralle, jungfräulich klingende Rückmeldungen. Doch, diese Programme waren alt, ein paar Monate alte Upgrades, sie waren knackbar, aber nur für Jungs mit Dings. Mach einfach so und so. Und plötzlich hatte sie es. Während sie sah, wie sich auf dem Monitor langsam die Telefonnummer offenbarte, dachte sie an die Risiken und Möglichkeiten der Informationsgesellschaft.
›Brambos‹ Telefonnummer ging zu einem Restaurant. Restaurant Tartaros auf Östermalm in Stockholm.
Tartaros? Thanatos? Dachte sie, während sie im Unternehmensregister nach dem Besitzer und der Geschäftsführung suchte. Das hatte doch was mit dem Totenreich der alten Griechen zu tun? Mit der Unterwelt?
Die tiefsten Abgründe der Hölle.
Komischer Name für ein Restaurant.
War das nicht auch Freud? Eros und Thanatos? Die beiden stärksten Triebe des Menschen? Der Lebenstrieb und der Todestrieb?
Egal, das Restaurant hieß Tartaros. Und der Besitzer war – Rajko Nedic.
Rajko Nedic? Dachte sie. War das nicht dieser Drogenhändler, der immer ungeschoren blieb? Er war doch nie im Zusammenhang mit Kinderpornographie in Erscheinung getreten?
Sie untersuchte die Zeiten. ›Brambo‹ war zu allen denkbaren Tages- und Nachtzeiten im Netz gewesen. Es fiel ihr schwer, sich jemanden im Restaurant vorzustellen, der sich der Kinderpornographie widmete, während in der Küche unten Hochbetrieb war. Sie fragte bei Telia an. Es war eine Zweitnummer zum Restaurant, geheim, weitergeschaltet. Sie musste alle denkbaren polizeilichen Methoden anwenden, um die Mauer der Schweigepflicht zu knacken.
Doch, die Nummer war weitergeschaltet. Nach Hause zu Rajko Nedic in Danderyd.
Plötzlich begann sich das Bild zu klären. Rajko Nedic war nicht in der Pädophilenbranche. Es war viel simpler.
Rajko Nedic war pädophil.
Sie begann, alle Kinderpornobilder im Internet zu sammeln, die ›brambo‹ zugeordnet werden konnten. Es war eine Kavalkade vom üblichen Zuschnitt. So alltäglich – und so unerträglich. All die Gesichter. Es waren stets die Gesichter der Kinder, die sie nicht losließen und die sie nicht loslassen konnte, die sie festhielten und sie anklagten, sie dessen anklagten, davongekommen zu sein, ihre Kindheit in Frieden verlebt zu haben, ihnen gerade jetzt und hier nicht zu helfen, abwesend zu sein in der konkreten Situation, ein furchtbarer, stummer, gleichsam stumm gemachter Schrei des Grauens stieg zum Horizont auf und fuhr über die Welt hin und zog sie mit sich und bereitete ihr Alpträume von einer furchtbaren doppelten Penetration mitten im Geburtsakt. Diese Blicke. Immer so dunkel – gebrochen und zugleich glasklar. Die akute Frühreife. Die gestohlene Kindheit. Die unfassbar groteske Handlung.
Sara Svenhagen versuchte sich zu besinnen. Sie kannte die Situation nur zu gut. Sie versuchte wieder, Polizistin zu werden, objektiv, forschend, nach Hinweisen jagend. Es war stets die gleiche Prozedur, die gleiche Einengung des Gesichtsfelds. Am Ende gelang es.
Wenn auch durch einen Schleier von Tränen.
Auf den Bildern war hauptsächlich ein Kind zu sehen, ein kleines dunkles Mädchen in verschiedenen Altersperioden, doch es kamen auch andere vor. Es war immer derselbe Raum, derselbe Hintergrund. Die Wände waren offenbar geräuschisoliert – es sah aus wie an die Wand genagelte Bordellkissen aus Gold. Sonst gab es keine besonderen Merkmale. Das Gesicht des Täters war nie mit im Bild, und vom Körper war eigentlich nur das Glied zu sehen. Und daran war nichts Besonderes – außer was es tat.
Aller Wahrscheinlichkeit nach gehörte es Rajko Nedic.
Okay, dachte sie und streckte sich. Sie blickte sich in der Wohnung um. Jorges Spuren waren überall. Der Anblick seiner Unterhose auf der Bettlampe erfüllte sie mit Wärme. Sie stieg ihr von den Zehen hinauf bis unter die Kopfhaut.
Okay. Ragnar Hellberg war im Internet nie besonders heimisch gewesen; seine Spezialität war, mit der Presse Scherze zu treiben. Dennoch hatte er offenbar den äußerst komplizierten Code geknackt, den sie selbst – unter der Mithilfe von Meisterhackern – geknackt hatte. Er hatte eingesehen, worauf er da gestoßen war: eine Möglichkeit, das zu
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