The Homelanders, Band 2: The Homelanders - Auf der Flucht (Bd. 2) (German Edition)
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D ER K ILLER IM S PIEGEL
Der Mann mit dem Messer war ein Fremder. Bevor er versuchte, mich zu töten, hatte ich ihn noch nie gesehen.
Als es passierte, war ich seit ungefähr einer Dreiviertelstunde in der Whitney Library, etwa sieben Meilen entfernt von meiner Heimatstadt Spring Hill. Ich war hierhergekommen, um meinen Namen reinzuwaschen und meine Freiheit zurückzubekommen. Um wieder nach Hause zu meiner Familie zu können, wo ich in Sicherheit sein würde. Aber jetzt musste ich hier weg. Es war zu gefährlich, mich länger an einem Ort aufzuhalten.
Vom Lesesaal im zweiten Stock der Bibliothek ging ich zur Herrentoilette. Ich zog meine schwarze Fleecejacke aus und hängte sie an die Tür einer der Toilettenkabinen. Nur mit meiner Jeans und einem schwarzen T-Shirt bekleidet, ging ich zu einem Waschbecken und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht.
Ich war unendlich müde. Schon wochenlang war ich auf der Flucht. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Ich musste die ganze Zeit wachsam bleiben. Tat ich das nicht, würde ich sterben.
Ich trocknete mir das Gesicht mit ein paar Papiertüchern ab und betrachtete mich im Spiegel. Der Typ, der mir entgegensah, war etwa 1,80 Meter groß. Dünn, aber mit breiten Schultern, ausdefinierten Muskeln und noch immer gut in Form. Ichhatte ein schmales, eher ernstes Gesicht, braune Haare, die mir in die Stirn fielen, und braune Augen. Ernsthafte Augen. Vermutlich zu ernsthaft für einen 18-Jährigen, aber ehrlich und direkt. Zumindest dachte ich das immer …
Ich schüttelte den Kopf. Hör auf damit. Es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, mich selbst infrage zu stellen. Ich durfte den Mut nicht verlieren, musste weitermachen. Gib niemals auf. Manchmal war es schwer, das muss ich zugeben. Nicht nur die Bösen, sondern auch die Guten waren hinter mir her. Die Polizei. Und ich musste kämpfen, um mich nicht entmutigen zu lassen. Ich fühlte mich einsam, vermisste mein Zuhause, meine Freunde, meine Mom und meinen Dad. Sogar meine Schwester, die wirklich sehr nervig sein kann. Man stelle sich vor, man hätte sich gerade hingesetzt, um seine absolute Lieblingssendung anzusehen. Und kurz bevor sie anfängt, wird die Zivilisation durch eine Atombombe ausgelöscht – eine solche Wirkung konnte meine Schwester haben. Aber ich vermisste sie trotzdem.
Ich vermisste es auch, ein ganz normaler Typ zu sein, zur Schule und in die Kirche zu gehen, rumzuhängen und normale Sachen zu tun.
Aber es war nicht gut, jetzt darüber nachzudenken. Ich musste weitermachen und das erledigen, weswegen ich hergekommen war. Ich hatte mir selbst das Versprechen gegeben, es weiter zu versuchen. Genauso wie ich es Gott versprochen hatte. Ich würde nicht aufgeben. Niemals.
Ich wandte mich vom Spiegel ab und griff nach der Fleecejacke, die ich vor ein paar Tagen in einem Secondhandladen gekauft hatte. Der Winter war nicht mehr weit, und ich brauchte etwas Warmes zum Anziehen. Ich tastete die Jackenach den zusammengefalteten Kopien in der Innentasche ab. Deshalb war ich überhaupt erst in die Bibliothek gekommen.
Es wurde Zeit, zu gehen.
Ich warf mir die Jacke über die Schultern und steckte die Hände durch die langen Ärmel. Genau in diesem Moment kam der Mann herein. Er war ein wenig älter als ich, vielleicht Anfang 20, ein bisschen größer und ein bisschen breiter an Taille und Schultern. Er trug schwarze Jeans und eine rote Windjacke, hatte ein rundes, offenes und freundliches Gesicht, blonde Haare und blaue Augen. Als er hereinkam, nickte er mir kurz zu, und ich nickte zurück. Dann ging er an mir vorbei zu den Urinalen am anderen Ende des Raums.
Ich trat einen Schritt zurück, Richtung Tür. Beim Hinausgehen warf ich noch einen letzten Blick in den Spiegel, um mein Aussehen zu überprüfen. Ich hob die geballte Faust. Gib niemals auf.
Plötzlich sah ich aus dem Augenwinkel das Spiegelbild des Mannes hinter mir aufblitzen. Er war gar nicht zu den Urinalen gegangen, sondern hatte sich zu mir umgedreht. Ohne jegliche Vorwarnung hatte er ein Messer gezückt! Ein Killermesser mit einer langen Klinge aus schwarzem Stahl. Als ich ihn im Spiegel entdeckte, wollte er mir gerade die Klinge in den Rücken rammen!
Angst durchfuhr mich wie ein elektrischer Schlag. Mit fast übernatürlicher Geschwindigkeit sprang ich nach links, drehte mich weg, und die Klinge glitt so dicht an meinem Bauch vorbei, dass ich sie noch durch das Fleece spüren konnte. Ohne nachzudenken, schlug ich mit der linken Handfläche
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