GK317 - Das zweite Leben der Marsha C.
Nebelschwaden krochen von der Flushing Bay herüber. Bleigrau und träge schoben sie sich über die Fahrbahn. Es war die kühlste und unwirtlichste Nacht in diesem Sommer.
Marsha Caan war mit ihrem Lambretta-Roller unterwegs. Sie hatte ein rotes Kopftuch über ihr langes weizenblondes Haar gebunden, trug eine schwarze Jacke aus Lackleder und enge Jeans aus Stretchcord.
Weit nach vorn gebeugt saß sie auf dem Sattel. Sie fuhr langsam, denn die Sicht betrug nur wenige Yards.
Der Lichtfinger des Scheinwerfers bohrte sich tief in die gespenstisch anmutenden Nebelschwaden und verlor sich darin.
Geisterhafte Figuren tanzten über die Straße. Plötzlich nieste und hustete der Lambretta-Motor. Der Roller ruckte und bockte.
Marsha Caan wurde mehrmals heftig geschüttelt. Dann gab der Motor keinen Laut mehr von sich.
Marsha kuppelte aus und ließ das klapprige Gefährt, das sie billig von einer Freundin gekauft hatte, am Straßenrand ausrollen.
In der Flushing Bay tutete ein Nebelhorn. Unheimlich hörte es sich an. Marsha erschrak, und ein kalter Schauer rieselte über ihren Rücken.
Ärgerlich stieg sie vom Roller. Sie klappte die Standgabel nach unten und bockte das Zweirad auf.
»Verfluchter Mist!« machte sie ihrem Unmut Luft. »Ausgerechnet jetzt muß das passieren.« Sie blickte den Roller verdrossen an. »Konntest du deinen Geist nicht am Tag bei Sonnenschein aufgeben, wenn auf dieser Straße ein bißchen mehr Verkehr ist als jetzt?«
Marsha Caan ging in die Hocke. Sie verstand nicht allzuviel von technischen Dingen. Deshalb tat sie nur die Handgriffe, die ihr bekannt waren, aber damit war das Zweirad nicht wieder in Gang zu bringen.
»Mist! Mist! Mist!« zischte Marsha Caan.
Bei jedem »Mist« trat sie mit dem Fuß gegen den Vorderreifen des Rollers. Sie versuchte, sich zu beruhigen und das Beste aus der Situation zu machen.
Wenn wenigstens ein Taxi vorbeigekommen wäre.
Oder ein Patrol Car der City Police. Aber die kamen bekanntlich ja immer nur dann, wenn man sie nicht brauchen konnte.
Marsha seufzte.
Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Den Roller hier einfach vergessen? Der Gedanke war nicht einmal so übel. Wenn das Ding sie mitten in der Nacht im Stich ließ, war es nur recht und billig, ihm die Freundschaft aufzukündigen.
Marsha Caan blickte sich um. Wohin sie schaute - Nebel.
Doch plötzlich entdeckte sie zwei verschwommene Lichtpunkte: ein Scheinwerferpaar. Da kam ein Wagen.
Er war viel zu schnell unterwegs für diese miserablen Sichtverhältnisse. Marsha Caan entschloß sich, den Wagen zu stoppen.
Wenn sie dann erst einmal in diesem Fahrzeug saß, würde sie dem Fahrer schon begreiflich machen, daß er seine Fahrt gefälligst etwas langsamer fortsetzte. Schließlich wollte sie nicht in irgendeinem Krankenhaus landen, sondern mit heilen Knochen nach Hause kommen.
Das Leuchten nahm zu.
Aus dem grauen Nebel wurde eine gleißende Wand. Sekunden später schob sich eine lange Fahrzeugschnauze aus dieser Wand.
Marsha Caan hatte sich gut sichtbar aufgebaut. Nun winkte sie mit beiden Händen.
»Hallo!« rief sie. »He! Bitte halten Sie an!«
Tatsächlich stoppte der Straßenkreuzer sieben Yards hinter dem Mädchen. Marsha lief zu dem Fahrzeug.
Sie faßte nach dem Türgriff und zog den Wagenschlag auf. Die Innenbeleuchtung flammte auf.
»Ach, bitte, hätten Sie wohl die Liebenswürdigkeit…?« Marsha Caan unterbrach sich.
Am Steuer des Wagens saß ein häßlicher Kerl. Er war dick, hatte wulstige Augenlider und einen lüsternen Blick.
Sein Grinsen ließ keine Zweifel darüber aufkommen, was Marsha erwartete, wenn sie die Hilfe dieses Burschen in Anspruch nahm.
Er würde mit ihr bestimmt nicht weiter als bis zum nächsten Parkplatz fahren und dann zudringlich werden. Darauf konnte Marsha verzichten.
»Nun sag schon, was ich für dich tun kann, Baby«, forderte der Mann das Mädchen auf.
»Nichts, Mister. Vergessen Sie’s, und fahren Sie weiter«, sagte Marsha Caan. Sie gab der Tür einen Schubs. Mit einem schmatzenden Laut fiel sie zu.
Der Autofahrer stieg auf der anderen Seite aus. Er kam um das Heck seines Straßenkreuzers herum.
Seine Augen zogen das Mädchen förmlich aus. »Nun sag doch, was ich für dich tun kann. Warum willst du dir von mir nicht helfen lassen?«
»Weil ich mir vorstellen kann, wie Ihre Hilfe aussieht. Ich warte lieber auf einen anderen Wagen.«
»Da kannst du lange warten. Schau dich doch um.«
»Das macht nichts.«
»Du wirst dich erkälten. Es kann
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