Falsche Zungen
Schrecken umwandte, sah ich direkt in Toms grinsende Visage und brachte keinen Ton heraus.
»Komm mit, alter Spinner«, sagte er »ich bin dir noch was schuldig.« Da er mich mit seiner schweren Pranke gepackt hielt, war jeder Widerstand zwecklos. Tom führte mich in die nächste Kneipe und bestellte einen Schnaps und zwei Bier. »Ich wußte gleich, daß du es gewesen bist«, sagte er und kippte den Schnaps herunter, »denn der Hund kann sich nicht allein losketten. Allen Respekt, das war anständig von dir, der Rex wäre sonst vielleicht erstickt.«
Immer noch blieb ich vollkommen stumm. Nur nichts zugeben, dachte ich.
»Es hat zwar ein wenig gedauert«, sagte Tom, »aber die Versicherung hat mir vor kurzem ein fettes Sümmchen für den abgefackelten Schuppen gezahlt. Ganz unter uns - ich habe immer wieder dran gedacht, es selbst zu machen, war aber zu feige. Besser konnte es gar nicht laufen, denn ich hatte ein perfektes Alibi. Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll ...«
Zum Abschied schüttelte er mir herzhaft die Hand.
»Mach’s gut, Rumpelstilzchen«, meinte er beim Gehen, »aber eines mußt du mir noch verraten: Wie heißt du eigentlich?«
Ich wurde über und über rot und entschied mich für einen halbwahren Kompromiß. »Ede«, sagte ich, und meine Stimme hörte sich an wie die einer sterbenden Maus.
Noch heute habe ich Toms dröhnendes Gelächter im Ohr. »Wer hätte denn das gedacht! Du bist ein ganzer Kerl, Ede!«
Als ich mich nach diesem Wiedersehen auf den Rückweg begab, fiel mir eine Zentnerlast von der Seele; unterwegs kaufte ich dünnen Blumendraht, viele kleine Plastikklammern und zierliche Nägel. In meiner Wohnung nahm ich mit fliegenden Händen die Autogrammsammlung aus dem Koffer, spannte den Draht kreuz und quer durchs Zimmer und klammerte alle Karten wie Wäschestücke daran fest.
Jeden Abend, wenn ich nach meinem anstrengenden Dienst wieder zu Hause bin, schwirre ich wie eine Fledermaus zwischen den Schnüren herum. Hans Magnus und Tankred, Heinrich und Thomas, Friedrich und Max, Hermann und Günter, Rainer Maria und Durs, Ricarda und Christa, Sibylle und Doris, Elfriede und Herta, Ingeborg, Sarah und viele andere heißen mich willkommen. Endlich bin ich dort angekommen, wo ich hingehöre: bei meinesgleichen.
Fisherman ’s Friend
Ausgerechnet auf diesen blöden Anglerfesten lernte ich die Männer kennen. Schon als kleines Mädchen mußten Mutter und ich einmal im Jahr mit den Sportsfreunden meines Vaters und ihren Familien ein Sommerfest feiern, als ob es zu Hause nicht oft genug Fisch gegeben hätte.
Die Frauen bereiteten Kartoffelsalat, Streuselkuchen und andere kulinarische Höchstleistungen zu, die Männer sorgten für Bier vom Faß und gegrillten Fisch. Die Kinder spritzten sich mit Wasserpistolen naß und heulten, wenn sie von einer Wespe gestochen wurden. Es wurde gefressen, gesoffen, gegrölt und geschwoft, aber immer im Rahmen einer gewissen Zucht und Ordnung. Das Ganze fand im Vereinshaus am See statt, bei schönem Wetter auf den Wiesen am Bootssteg. Unter Lampions habe ich Eugen kennengelernt, später den Ulli.
Damals war ich siebzehn und dumm wie Bohnenstroh. Ich kapierte nicht, daß Eugen sich nur deshalb an mich heranmachte, weil ihn die Torschlußpanik erwischt hatte; er war fast vierzig, und noch keine Frau hatte bis jetzt angebissen. Ich empfand sein Alter als Auszeichnung. Ein Mann, der fast so alt und konservativ wie mein Papa war und ausgerechnet mich bevorzugte, das war eine Gnade. Eugen war klein und mickrig, weder witzig noch interessant, aber wenigstens ein bißchen reich. Er besaß ein alteingesessenes Fachgeschäft für Schirme, Handschuhe und Hüte. Bisher hatte ich nur Omas gestrickte Fäustlinge getragen, von da an wurde ich die Besitzerin einer Kollektion feinster Lederhandschuhe.
Meine Eltern waren nicht viel klüger als ich, denn sie hielten Eugens Werbung ebenfalls für einen Glücksfall. Nicht lange fackeln, zugreifen! empfahlen sie. Ich war damals nämlich nicht bloß unbedarft, auch meine berufliche Karriere als Briefträgerin sah nicht vielversprechend aus.
Mit achtzehn war ich verheiratet, mit neunzehn Mutter. Anfangs sollte ich im Laden helfen, aber schon nach den ersten Versuchen hatte ich keine Lust mehr. Weil ich von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte, nahmen mich die Verkäuferinnen als Chefin nicht ernst. Es verletzte mich, daß hinter meinem Rücken über mich getuschelt wurde, und zwar nicht gerade positiv. Wahrscheinlich
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