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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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und schön, und er fühlte die erste stille Woge des Stolzes.

    Als alles vorbei war, wußte er, daß es ein kleiner Triumph gewesen war.
    Das Publikum, das nicht klatschen durfte, rutschte auf den Sitzen herum, hustete, scharrte mit den Füßen. Es waren dies alles feine Signale uneingeschränkter Zustimmung. Außerdem konnte Tonio es überall in den Gesichtern sehen. Als er mit den anderen Kastraten schließlich die Kapelle verließ, wollte er nur noch mit Guido allein sein. Wenn Guido ihn in die Arme nahm, würde das Lob genug sein. Er war erschöpft.
    Dennoch kehrte er ganz bewußt zu dem Strom derjenigen zurück, die die Kapelle verließen. Als wie erwartet das blonde Mädchen auftauchte, spürte er, wie ihm im Gesicht ganz warm wurde.
    Sie so greifbar vor sich zu sehen, war sehr verwirrend. In seiner Erinnerung war sie verblaßt. Jetzt aber war sie da, ihr goldenes Haar fiel ihr weich über den gerundeten Nacken, und ihre Augen, die so unendlich ernst blickten, schimmerten in einem dunklen Blau. Sie trug ein schmales violettes Band um den Hals, das die Farbe ihres kleinen Mundes widerspiegelte.
    Er konnte diesen vollen Schmollmund fast spüren, so als hätte er damals, kurz bevor er sie geküßt hatte, seinen Daumen auf ihre Lippen gepreßt. Verwirrt und unglücklich sah er weg.
    Sie war in Begleitung eines älteren Herrn. Wer war das, ihr Vater? Und warum hatte sie ihm nicht von dem Vorfall im Speisezimmer erzählt? Warum hatte sie nicht geschrien?
    Jetzt befand sie sich direkt vor ihm, und als er aufblickte, sah er in ihre Augen.
    Ohne zu zögern machte er eine korrekte Verbeugung. Dann wandte er fast ärgerlich den Blick wieder ab. Er fühlte sich stark und besänftigt, und zum ersten Mal vielleicht wurde er sich bewußt, daß von all den schmerzlichen Gefühlen, die das Leben barg, nur die Traurigkeit einen solch intensiven Glanz hatte. Dann war die junge Frau verschwunden.
    Der Maestro di Cappella kam auf ihn zu und nahm ihn bei den Händen: »Ganz bemerkenswert«, sagte er. »Und ich hatte gedacht, du würdest mit deinen Studien zu rasch voranschrei-ten.«
    Dann sah Tonio Guido, und Guidos Glück war ihm so deutlich anzusehen, daß Tonio einen kleinen Kloß im Hals spürte. Die Contessa Lamberti umarmte ihn. Sobald sie weg war, wandte er sich Tonio zu, schob ihn sanft den Korridor entlang, schien ihn küssen zu wollen, besann sich dann aber klugerweise eines Besseren.
    »Was in aller Welt ist dort oben mit dir passiert? Ich dachte, du würdest deinen Einsatz verpassen. Du hast mir angst gemacht.«
    »Aber ich habe ihn doch nicht verpaßt«, sagte Tonio. »Sei nicht böse.«
    »Böse?« Guido lachte. »Sehe ich so aus, als wäre ich böse?«
    Er umarmte Tonio spontan und ließ ihn dann wieder los. »Du warst perfekt«, flüsterte er.
    Die letzten Gäste waren gegangen, die Eingangstüren wurden geschlossen. Der Maestro di Cappella war in ein Gespräch mit einem Herrn vertieft, den Tonio nur von hinten sehen konnte.
    Guido hatte schon seine Zimmertür aufgesperrt, aber Tonio wußte, daß er sich nicht zurückziehen würde, bevor er nicht gehört hatte, was der Maestro zu sagen hatte.
    Als sich der Maestro dann aber umdrehte und mit seinem Gast auf sie zukam, erschrak Tonio. Dieser Mann war Venezianer, das erkannte er sofort, obwohl er nicht sagen konnte, woran er das gemerkt hatte.
    Es war jedoch schon zu spät für Tonio, sich noch wegzudre-hen. Da sah er, daß dieser blonde, massige junge Mann Giacomo Lisani war, Catrinas ältester Sohn.
    Catrina hatte ihn verraten! Sie war nicht selbst gekommen, aber sie hatte diesen Burschen da geschickt! Tonio wäre am liebsten davongelaufen, aber er merkte sofort, daß Giacomo ebenso erbärmlich zumute war wie ihm. Eine flammende Röte überzog Giacomos Wangen, die hellblauen Augen hatte er niedergeschlagen.
    Wie sich der unbeholfene Grünschnabel, den Tonio von Venedig her kannte, dieser ungestüme Student der Universität von Padua, der, wenn er mit seinem Bruder zusammen war, nur Unsinn im Kopf gehabt hatte, verändert hatte.
    Auf seinem Gesicht und Hals war ganz leicht ein dunkler Bart-schatten zu sehen. Er wirkte sehr pflichtbewußt, als er sich tief und fast feierlich vor Tonio verbeugte.
    Der Maestro stellte ihn vor. Es war unmöglich, das zu vermeiden. Giacomo blickte Tonio an und sah dann ebenso schnell auch wieder weg.
    Ist es Abscheu? dachte Tonio kalt. Findet er mich widerlich?
    Seine Überlegungen, die darum kreisten, wie er wohl auf Giacomo wirkte,

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