Falsetto
verwandelten sich langsam in eine stille Feindseligkeit, die jeder Vernunft widersprach.
»Marc Antonio«, begann Giacomo. »Dein Bruder Carlo hat mich zu dir geschickt.«
Der Maestro war gegangen. Guido hatte sich ebenfalls entfernt, hielt sich aber im Hintergrund auf und ließ Tonio nicht aus den Augen.
Und Tonio, der zum ersten Mal seit so langer Zeit den wunderschönen venezianischen Dialekt hörte, mußte die Bedeutung von Giacomos Worten von dem tiefen maskulinen Timbre loslösen, das in diesem Augenblick fast magisch erschien. Wie köstlich dieser Dialekt doch war, wie er den goldenen Verzierungen an den Wänden, auf den Säulen und den bemalten Türen hier glich. Giacomos schwere, matte Stimme schien sich aus einem Dutzend harmonischer Klänge zusammenzu-setzen, und jedes volltönende Wort berührte Tonio wie eine weiche Kinderhand, die sich an seinen Hals drückte.
»... macht sich Sorgen um dich«, fuhr Giacomo fort. »Ihm sind Gerüchte zu Ohren gekommen, in denen es hieß, daß du Ärger gehabt hättest. Angeblich hättest du dir gleich nach deiner Ankunft hier einen anderen Studenten zum Todfeind gemacht.
Dieser habe dich dann angegriffen, so daß du gezwungen gewesen seist, dich zu verteidigen.«
Giacomo runzelte in tiefer Besorgnis die Stirn. Ach, die Jugend, dachte Tonio, so als wäre er ein alter Mann.
Schweigen hatte sich zwischen sie gesenkt. Tonio konnte in Guidos Gesicht plötzlich eine deutliche Warnung erkennen.
Guidos Gesicht sagte: Gefahr!
»Dein Bruder ist sehr besorgt um deine Sicherheit, Marc Antonio«, sagte Giacomo. »Dein Bruder ist besorgt, weil du meiner Mutter nichts von diesem Vorfall geschrieben hast und ...«
Ja, Gefahr, dachte Tonio, für mein Herz und meine Seele. Giacomo sah ihm jetzt zum ersten Mal, seit er zu sprechen begonnen hatte, wieder in die Augen.
Plötzlich erkannte Tonio die Zusammenhänge, sah, worum es hier ging, sah, was Carlo beabsichtigte. Um seine Sicherheit besorgt! Und dieser törichte junge Mann ahnte nicht einmal, welcher Natur seine Mission war!
»Wenn du irgendwie in Gefahr bist, Marc Antonio, dann mußt du uns das sagen...«
»Ich bin nicht in Gefahr«, sagte Tonio plötzlich. Es erstaunte ihn selbst, wie kalt seine Stimme klang, dennoch fuhr er fort.
»Und ich habe mich niemals in Gefahr befunden«, sagte er fast höhnisch. Seine Worte besaßen solch eine Autorität, daß sein Cousin ein wenig vor ihm zurückwich. »Die Sache ist leider ziemlich dumm ausgegangen, aber es war nicht zu verhindern. Sag meinem Bruder, daß er sich unnötig Sorgen macht und daß er sich die Mühe und Kosten, dich hierherzuschicken, hätte sparen können.«
Ein Stück entfernt und halb im Schatten verborgen, schüttelte Guido verzweifelt den Kopf.
Tonio hatte seinen Cousin jedoch fest beim Arm genommen und führte ihn jetzt in Richtung Ausgang.
Giacomo schien ein wenig erstaunt zu sein, aber er war keineswegs beleidigt, daß er so einfach hinauskomplimentiert wurde. Er starrte Tonio mit kaum verhohlener Faszination an.
Als er jetzt zu reden anhob, war so etwas wie Erleichterung aus seiner Stimme herauszuhören.
»Dann bist du hier also zufrieden, Tonio«, sagte er.
»Mehr als zufrieden.« Tonio gab ein kurzes Lachen von sich.
Er führte Giacomo den Korridor entlang. »Und sage deiner Mutter, daß sie sich ebenfalls keine Sorgen machen soll.«
»Aber dieser Junge, der dich angegriffen hat -«
»Dieser Junge«, sagte Tonio, »wie du es ausdrückst, steht jetzt vor einem strengeren Richter, als wir beide es sind.
Sprich in der Messe ein Gebet für ihn. Wir haben Weihnachten, und das willst du doch sicher nicht hier verbringen.«
Giacomo blieb an der Tür stehen. Das alles ging ihm ein wenig zu schnell. Während er noch zögerte, ließ er seinen Blick rasch und beinahe begierig über Tonio hinweghuschen, dann erschien ein kleines, aber sehr warmes Lächeln auf seinem Gesicht. »Ich freue mich, zu sehen, daß du so wohlauf bist, Tonio«, gestand er. Einen kurzen Augenblick lang schien es, als wolle er noch mehr sagen, aber dann besann er sich anders und sah rasch zu Boden. Er schien kleiner zu werden, schien zu dem Jungen zu werden, der er in Venedig gewesen war. Tonio erkannte im stillen, daß sein Cousin ihn liebte und seinetwegen Kummer empfand.
»Auf Wiedersehen, Giacomo«, sagte Tonio leise. Er hielt seinen Cousin fest bei beiden Armen.
Giacomo konnte ihn einen Moment lang nur anstarren. Dann sagte er, während er in seinen Samtrock griff: »Ach,
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