Falsetto
ihn hinweg, während sie vor ihm zurückzuscheuen schien.
»Was ist los?« flüsterte er. »Warum sehen Sie mich so an?«
»Mein Lieber...« Ihre Stimme klang monoton. »Sie sehen wunderbar aus. Selbst mich könnten Sie zum Narren halten...«
»Nein, nein... warum sehen Sie mich so an?« wiederholte er flüsternd, in der Gewißheit, daß kein Mensch hätte behaupten können, daß das nicht das Flüstern einer Frau war.
Sie gab keine Antwort.
Er funkelte sie wütend an.
»Tonio, hören Sie auf damit!« sagt sie und biß sich auf die Lippen.
»Dann sagen Sie mir, was los ist!« forderte er.
»Also gut, sie sind wie ein Dämon, eine vollkommene Frau, die überlebensgroß ist! Sie sind zart und wunderschön, aber Sie sind zu groß! Und Sie machen mir angst, so als käme der Engel des Herrn in dieses Zimmer, füllte es mit seinen Schwingen aus und schüttelte die Federn, so daß sie durch die Luft wirbeln. Sie sind wunderschön und vollkommen, dennoch sind Sie ...«
»Ein Monstrum, meine Liebe«, flüsterte er. Und spontan nahm er ihr Gesicht in beide Hände und gab ihr einen Zungenkuß.
Sie hielt den Atem an, die Augen geschlossen, den Mund ge-
öffnet, dann hob sich ihr schwerer Busen in einem tiefen Seufzer.
»Sie gehören dort draußen hin...«, murmelte sie. Dann öffnete sie wieder die Augen. Lange Zeit sah sie ihn einfach nur an, dann begann ihr Gesicht vor Freude und Stolz zu strahlen, und sie schlang die Arme um seine Taille.
»Lieben Sie mich?« fragte er.
»Ach!« Sie ließ ihn los. »Was kümmern Sie sich um mich!
Ganz Rom wird Sie gleich lieben, ganz Rom wird Ihnen gleich zu Füßen sinken! Und da fragen Sie ausgerechnet mich, ob ich Sie liebe?«
»Ja, ja, denn ich möchte, daß Sie mich lieben, hier und jetzt.«
»Oh, und bald schon beginnt die unendliche Eitelkeit.« Sie lä-
chelte, dann strich sie ihm mit den Händen über die weißen, gewellten Haare, um eine lange, mit einem Edelstein geschmückte Haarnadel wieder an die richtige Stelle zu stecken.
»Die unendliche Eitelkeit« - sie seufzte - »mit ihrer unendlichen Gier.«
»Ist das so?« fragte er leise.
Sie hielt inne.
»Sie haben Angst«, flüsterte sie.
»Ein bißchen, Signora, ein bißchen.« Er lächelte.
»Aber, mein Lieber...«, begann sie.
Doch die Tür war aufgeflogen, und ein atemloser Paolo, das Haar naß und zerzaust, kam ins Zimmer gestürmt.
»Tonio, du solltest dieses Gesindel hören! Sie sagen, Ruggerio hätte dir mehr Gage gezahlt als Bettichino, und jetzt brennen sie auf einen Kampf. Außerdem ist das Haus voller Venezianer, Tonio, sie haben den weiten Weg hierher auf sich genommen, um dich singen zu hören. Sicher wird es einen Kampf geben, Tonio, aber sie werden dir keine Chance lassen!«
14
Jetzt war es soweit. Fünfundzwanzig Jahre lang hatte Guido auf diesen Moment hingearbeitet. Die Zeit war gekommen.
Guido warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. Seine glatte, weiße Perücke war tadellos, und in seinem Rock aus Goldbrokat konnte er, nachdem die Näherin eine Reihe von Änderungen daran vorgenommen hatte, nun endlich auch die Arme uneingeschränkt bewegen. Er glättete die Spitze an seinem Hals, schüttelte sie an seinen Handgelenken auf. Jetzt lockerte er seinen Gürtel ein ganz klein wenig, in der Gewiß-
heit, daß das niemandem auffallen würde, dann sammelte er die Partitur zusammen.
Bevor er jedoch in den Orchestergraben hinaustrat, blieb er noch einen Moment lang hinter dem Vorhang stehen und blickte in den Zuschauerraum hinaus.
Der große Kronleuchter war gerade in der Decke verschwunden und hatte das taghelle Licht mit sich genommen.
Die Düsternis, die sich herabsenkte, schien ein wildes Brüllen auszulösen. Auf den Galerien war Fußgetrampel zu hören, von beiden Seiten kamen heisere Rufe.
Die abbati hatten, wie erwartet, den vorderen Teil des Zuschauerraums übernommen. Die Logen waren vollgestopft, und man hatte überall noch zusätzliche Stühle dazwischenge-quetscht. Direkt über sich, zu seiner Rechten, sah er ein Dutzend Venezianer, dessen war er sich sicher. Einer von ihnen kam ihm bekannt vor. Es war der riesige Eunuch von San Marco, der Tonios Hauslehrer und Freund gewesen war.
Auch die Neapolitaner waren in großer Zahl gekommen. Die Contessa Lamberti saß zusammen mit Christina Grimaldi in der allerersten Reihe der Loge. Den Rücken hatten sie dem Eßtisch zugewandt, wo andere bereits beim Kartenspiel waren. Maestro Cavalla, der bereits seine Grüße in die
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