Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Ringfinger und am kleinen Finger seiner linken Hand.
    Tonio blickte zu ihm hinunter und strich ihm über die seidige Haut an Nase und Wangen, dann verließ er leise das Zimmer.
    Er gab seinem Kutscher die Anweisung, zur Piazzadi Spagna zu fahren.
    Als er am Fuße der hohen Spanischen Treppe angelangt war, saß er lange Zeit da, starrte aus dem Fenster und beobachtete jene, die in der Dunkelheit vorübergingen. Hoch über ihm zeichneten sich vor dem mondhellen Himmel viele erleuchtete Fenster ab, aber er kannte hier weder Häuser noch Namen.

    Einen Augenblick wurde er von einer Laterne geblendet, bevor der Mann, der sie trug, höflich den Lichtstrahl wegdrehte.
    Er schien eine Weile eingeschlafen gewesen zu sein, aber er wußte nicht wie lange. Er war nur plötzlich aufgewacht. Als er hochfuhr, spürte er ihre Gegenwart und versuchte sich daran zu erinnern, was er geträumt hatte. Sie hatten sich in seinem Traum aufgeregt miteinander unterhalten, wobei er sich vergeblich bemüht hatte, ihr irgend etwas zu erklären, und sie sich schließlich traurig abgewandt hatte.
    Er merkte, daß er sich auf der PiazzadiSpagna befand. Er mußte nach Hause. Einen kleinen Augenblick war er sich nicht sicher, wo das war.
    Er lächelte, dann gab er dem Fahrer den Befehl, loszufahren.
    Im Halbschlaf fragte er sich, warum Bettichino nicht gekommen war, da wurde ihm plötzlich mit Schrecken klar, daß es nicht einmal mehr zwei Wochen bis zur Premiere waren.

    12

    Am Weihnachtstag erhielten sie die Nachricht, daß Bettichino eingetroffen war.
    Die Luft war klar und frostig und wurde vom Läuten aller Kirchenglocken Roms erfüllt. Choräle erklangen von den Emporen, und Kinder predigten von der Kanzel, wie es der Brauch war. In Tausenden prächtiger Krippen lag, von Kerzen umgeben, strahlend das Jesuskind.
    Guido, der entdeckt hatte, daß die Violinisten im Teatro Argentina meisterhafte Musiker waren, hatte alle Partien für Saiteninstrumente umgeschrieben. Er lächelte nur, als Bettichino, der behauptete, ein wenig unpäßlich zu sein, darum bat, man möge entschuldigen, daß er keinen Höflichkeitsbesuch mache.
    Ob Guido so freundlich wäre, ihm die Partitur zu schicken?
    Guido war auf alle Schwierigkeiten vorbereitet. Er kannte die Regeln des Spiels und hatte dem großen Sänger drei Arien mehr gegeben, als Tonio hatte, so daß Bettichino mit seinem Können brillieren konnte. Er war nicht überrascht, als er die Partitur, in die der Sänger nun all seine Verzierungen sauber hineingeschrieben hatte, binnen vierundzwanzig Stunden zu-rückerhielt. Jetzt konnte Guido die Begleitung angleichen. Bettichino hatte sich zwar nicht lobend zu der Komposition geäußert, aber er hatte sich auch nicht beklagt.
    Guido wußte, daß das Gerede in den Cafés jetzt seinen Höhepunkt erreicht hatte. Außerdem besuchten alle das neue Atelier von Christina Grimaldi, die ausschließlich von Tonio sprach. Das Theater würde brechend voll sein.
    Guidos Hauptaufgabe war nun, Tonio vor seiner eigenen Furcht zu bewahren.

    Zwei Tage vor dem Premierenabend wurde die erste und einzige Probe für die Sänger angesetzt.
    Tonio und Guido gingen am Nachmittag zum Theater, um sich mit Tonios Widersacher zu treffen, dessen Anhänger vielleicht versuchen würden, Tonio von der Bühne zu vertreiben.
    Als sie dort ankamen, erschien sofort Bettichinos Agent, um sie zu informieren, daß der große Sänger immer noch unter einer kleinen Unpäßlichkeit litt und seine Rolle lediglich mar-kieren würde. Sogleich bestanden die Tenöre ebenfalls auf diesem Vorrecht, und Guido wies Tonio an, ebenfalls keinen Ton zu singen.
    Nur der gute alte Rubino, der Kastrat, verkündete fröhlich, daß er singen würde. Die Musiker im Parkett setzten ihre Instrumente ab, um ihm zu applaudieren, und er begann voller In-brunst mit der ersten Arie, die Guido für ihn komponiert hatte.
    Hohe Töne konnte er schon lange nicht mehr singen, aber die Arie war für einen Alt geschrieben und wurde von ihm mit solcher Präzision und solcher Klarheit gesungen, daß seine Zu-hörer, als er geendet hatte, den Tränen nahe waren. Selbst Guido war gerührt, als er seine Komposition von dieser neuen Stimme vorgetragen hörte.
    Direkt nach dieser kleinen Vorstellung erschien Bettichino.
    Tonio spürte, daß ihn jemand ganz leicht streifte, und drehte sich ein wenig erschrocken um. Da sah er einen Riesen von einem Mann vorbeigehen, der einen dicken Wollschal um den Hals gewickelt hatte. Er hatte eine blonde

Weitere Kostenlose Bücher