Falsetto
Haarmähne, so hell, daß sie fast schon silbern wirkte, und einen sehr schmalen, sehr geraden Rücken.
Erst als dieser Mann, der mit derselben gleichgültigen Art auch am alten Rubino vorbeigegangen war, die andere Seite der Bühne erreicht hatte, drehte er sich langsam auf dem Absatz um und warf Tonio einen entschlossenen Blick zu.
Noch nie hatte Tonio so eisig blaue Augen gesehen. In ihnen schien das Nordlicht zu leuchten. Ihr Blick, der auf Tonio geheftet war, wurde plötzlich unruhig, so als wolle er sich von ihm lösen, wurde dann aber sofort wieder wie an einem Haken zurückgezogen.
Tonio rührte sich nicht und blieb stumm, aber er zuckte heftig zusammen, so als hätte dieser Mann ihm, einem Aal gleich, der noch lebend am Sandstrand gefunden wird, einen fürchterlichen elektrischen Schlag versetzt.
Er gestattete sich, den Blick langsam, fast respektvoll zu senken, dann blickte er wieder zu dieser Gestalt von mindestens eins neunzig auf, neben der er auf der Bühne herrlich klein wirken würde.
Bettichino zog mit einer lässigen Bewegung an einem Ende seines Wollschals, so daß dieser mit einem leise zischenden Geräusch von seinem Hals glitt und das breite, quadratische Gesicht des Sängers ganz zu sehen war.
Er sah gut aus, ja sogar majestätisch, und strahlte diese unterschwellig spürbare Autorität aus, die Guido einmal vor vielen Jahren als jene magische Kraft beschrieben hatte, die nur wenige Sänger besaßen. Als Bettichino nun vortrat, schien das für die ganze Welt von Bedeutung zu sein.
Immer noch starrte er Tonio an. Sein Gesichtsausdruck war dabei so unerbittlich, so kalt, daß alle Umstehenden plötzlich verlegen wurden. Die Musiker, die sich auf irgendeine unaus-gesprochene Herausforderung vorzubereiten schienen, huste-ten hinter vorgehaltener Faust, der Impresario knetete nervös seine Hände.
Tonio rührte sich nicht. Bettichino begann mit langsamen, gemessenen Schritten auf ihn zuzugehen. Als er dann direkt vor Tonio stand, reicht er ihm seine saubere, bleiche Hand.
Tonio ergriff sie sofort, murmelte dabei leise eine respektvolle Begrüßung. Und der Sänger, der sich umdrehte, während er Tonio noch ansah, bedeutete den Musikern mit einer stummen Geste, anzufangen.
13
Eine Stunde bevor sich der Vorhang hob, öffnete der Himmel seine Schleusen über Rom. Nichts jedoch, weder die kra-chenden Blitze noch der Wind, der an den geschlossenen Fensterläden des Theaters rüttelte, konnte den Andrang der Zuschauer, die sich durch die Eingänge schoben, mindern.
Ein dichtes Knäuel von Kutschen blockierte die Straße, ein goldenes Gefährt nach dem anderen kam ruckend zum Stehen, um juwelenbehängte und weiß gepuderte Männer und Frauen in das flackernde Licht zu entlassen. Die Galerien ganz oben waren bereits voll besetzt. In der Dunkelheit konnte man lauter bleiche Gesichter sehen. Pfiffe, Buhrufe und ob-szöne Verse schallten durch den abgedunkelten Theaterraum.
Tonio, der gerade tropfnaß hinter der Bühne eingetroffen war, ging sofort zu dem kleinen Guckloch neben dem Vorhang.
Signora Bianchi wurde ganz hysterisch und begann unverzüglich, ihm das Haar trockenzurubbeln.
»Pssst...« Er beugte sich nach vorn und spähte in den Zuschauerraum hinaus.
Diener in Livree gingen auf dem ersten Rang von Leuchter zu Leuchter, zündeten dort die Kerzen an und erweckten samte-ne Vorhänge, Spiegel, polierte Tische und Polsterstühle zum Leben. Es schien, als würden zahllose Salons körperlos im Dunkeln schweben.
Unten im Parkett hatten bereits Hunderte abbati Platz genommen. Eine Kerze in der einen Hand, in der anderen die offene Partitur, diskutierten sie bereits hitzig miteinander.
Ein einzelner Violinist saß schon auf seinem Stuhl. Jetzt kam ein Trompeter, dessen billige kleine Perücke kaum sein dunkles Haar verdeckte.
Jemand in der obersten Galerie schrie plötzlich etwas. Ein Geschoß segelte durch die Düsternis, und aus dem ersten Stock kam ein heftiger Fluch. Ein Mann sprang auf, fuchtelte wild mit den Fäusten, wurde wieder auf seinen Platz zurückgezerrt.
Weiter oben war eine Prügelei ausgebrochen, hinter den Wänden hörte man ein Poltern auf den Holztreppen.
»Drehen Sie sich einmal zu mir um!« sagte Signora Bianchi ganz aufgeregt. »Wie sehen Sie denn aus, haben Sie im Fluß gebadet? Spätestens in einer Stunde sind Sie heiser. Sie müssen sich unbedingt aufwärmen.«
»Mir ist warm«, flüsterte Tonio und küßte sie auf ihren kleinen welken Mund. »Wärmer, als
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