Falsetto
schlichte Güte lag, nach der er sich von ganzem Herzen sehnte.
Er ging rasch zum Bett, schob seinen Arm unter ihren Körper und hielt sie fest, bis sie langsam, ganz langsam die Augen öffnete und blicklos zu ihm hochstarrte.
»Liebst du mich?« flüsterte er. »Liebst du mich?«
Ihre Augen wurden groß, weich, Traurigkeit lag in ihrem Blick, als sie ihn so ansah. Da spürte er, wie er sich ihr vollkommen öffnete.
»Ja!« flüsterte sie, und sie sagte das so, als wäre ihr das eben selbst erst bewußt geworden.
Tage später, an einem Nachmittag, als halb Rom, wie es schien, in ihrem Atelier versammelt war, als die Sonne durch die nackten Fenster strahlte, Männer und Frauen miteinander plauderten, Wein und englischen Tee tranken und englische Zeitungen lasen, da saß sie über ihre Staffelei gebeugt da, die Wangen mit Kreide beschmiert, das Haar nachlässig mit einem violetten Band zusammengebunden. Und er, der vom Rande aus zusah und sie betrachtete, erkannte, daß sie ihm gehörte. Was für ein Narr du doch bist, Tonio, dachte er, du vermehrst nur deinen Schmerz. Aber es war nicht einmal wirklich eine Entscheidung gewesen.
4
Guido wußte, daß etwas nicht stimmte, und er wußte, daß Christina nichts damit zu tun hatte.
Der römische Karneval stand vor der Tür, die Oper lief seit Wochen mit großem Erfolg, aber Tonio wollte über keine weiteren Engagements reden. Ganz gleich, wie sehr Guido dräng-te, Tonio bat darum, in Ruhe gelassen zu werden.
Er erklärte, erschöpft zu sein, er erklärte, zu Christina gehen zu müssen. Er erklärte, daß er, da sie beide um drei Uhr an diesem Nachmittag von einer Kurfürstin empfangen würden, unmöglich noch an etwas anderes denken konnte.
Da waren Ausreden ohne Ende. Hin und wieder, wenn Guido Tonio in seiner Garderobe im Theater abfing, wurde Tonios Gesicht auch hart. Er zeigte dann jene Kälte, die in Guido stets stummes Entsetzen hochkriechen ließ, und stammelte ärgerlich: »Damit kann ich mich jetzt nicht befassen, Guido. Ist das alles hier denn nicht genug?«
»Genug? Es ist nur der Anfang, Tonio«, pflegte Guido dann zu antworten.
Zuerst redete Guido sich ein, daß es an Christina lag.
Immerhin hatte er Tonio noch nie so erlebt wie jetzt, so verliebt, daß er Christina jede freie Minute widmete.
Als Guido aber schließlich an einem Spätnachmittag, als Tonio auf einem Empfang war, dem er sich nicht entziehen konnte, Christina aufsuchte, war er nicht überrascht, als sie erklärte, mit Tonios zögerlichem Verhalten nichts zu tun zu haben.
Natürlich hatte sie Tonio nicht davon abgeraten, das Osteren-gagement in Florenz anzunehmen. Sie hatte nicht einmal davon gewußt.
»Guido, ich bin bereit, ihm überallhin zu folgen«, sagte sie schlicht. »Malen kann ich in jeder Stadt. Ich brauche lediglich meine Staffelei, meine Farben und meine Leinwand. Es macht mir nichts aus, irgendwoanders hinzugehen, egal wohin«, und dann senkte sie die Stimme, »solange er bei mir ist.«
Sie hatte gerade ihre letzten Gäste verabschiedet. Die Dienstmädchen räumten die Weingläser und Teetassen weg, während sie, die Ärmel hochgekrempelt, mit ihren Ölfarben und Pigmenten beschäftigt war. Glasbehälter mit Karminrot, Zinnober und Ocker standen vor ihr. Ihre Fingerspitzen waren rot.
»Warum, Guido«, fragte sie und strich sich dabei das Haar aus dem Gesicht, »warum will er nicht über die Zukunft reden?« Es schien jedoch, als hätte sie vor Guidos Antwort Angst. »Warum macht er ein solches Geheimnis aus unserer Beziehung und läßt alle glauben, wir wären lediglich miteinander befreundet? Ich habe ihm gesagt, daß er, wenn es nach mir ginge, bei mir einziehen könnte! Guido, jeder, den es interessiert, weiß, daß er mein Geliebter ist. Und willst du wissen, was er gesagt hat? Es ist noch nicht lange her, es war spät und er hatte zuviel Wein getrunken, da sagte er, daß für ihn kein Zweifel daran bestünde, daß es dir etwas nützen wür-de, ihn gekannt zu haben, und daß es dir gutgehen würde.
›Der Wind wird danach seine Segel blähen‹, sagte er. Aber mir, so sagte er, würde es schaden, wenn er mich mit ruinier-tem Ruf zurückließe. Das brächte er um nichts in der Welt fertig. Aber warum spricht er davon, wegzugehen, Guido? Bis zu diesem Abend fürchtete ich, du wärst es, der will, daß er mich aufgibt.«
Guido konnte ihr darauf keine befriedigende Antwort geben. Er drückte lediglich ihre Hand, die er hielt, ein wenig fester. Er wußte, daß sie
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