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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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des Erstaunens von sich.
    In jener Lackminiatur, die sie ihm damals durch Guido hatte überreichen lassen, hatte sie nur sanfte Unschuld eingefangen. In diesem Gemälde aber erahnte er etwas Dunkles, etwas Grüblerisches, ja sogar eine gewisse Kälte. Ihm war gar nicht bewußt gewesen, daß sie all das in seinem Gesicht gelesen hatte.
    Da er sie nicht enttäuschen wollte, murmelte er ein paar schlichte Worte des Lobes. Dann legte er das Bild weg und ging zu ihr, setzte sich neben sie auf die hölzerne Bank und nahm ihr die Kreide aus der Hand.
    Sie lieben, sie lieben, das war alles, woran er denken konnte, was er fühlen konnte, was er tun wollte. Abermals hielt er sie in den Armen und wunderte sich über die dünne Membran, die Grausamkeit von überwältigender Leidenschaft trennte.
    Jemanden derartig zu lieben, hieß, zu diesem Menschen zu gehören. Alle Freiheit ging dabei verloren, aber das Glück hatte einen eigenen Ort, eine eigene Zeit. Er hielt sie fest, ohne dabei etwas sagen zu wollen. Es schien, als erzählten ihm ihre weichen, heißen Glieder, die sich an ihn schmiegten, nur die schrecklichsten Geheimnisse.
    Liebe, Liebe, Christina besitzen.
    Er brachte sie zum Bett, legte sie dort nieder. Er wollte sich in ihr verlieren.
    Und dann kam diese Zeit der Gemeinsamkeit, die er früher so oft mit Guido erfahren hatte, wenn die Leidenschaft endlich gestillt war und er nichts anderes mehr wünschte, als ihr nahe zu sein.
    Der Tisch war gedeckt. Kerzen wurden hereingebracht. Sie legte ihm einen Morgenmantel über die Schultern und führte ihn zum Tisch, wo die alte Frau Wein und Teller mit dampfender Pasta aufgetischt hatte. Sie aßen geröstetes Kalbfleisch und heißes Brot. Als sie schließlich gut und reichlich gespeist hatten, nahm er sie auf den Schoß, dann schlossen sie beide die Augen und begannen ein kleines Spiel zu spielen.
    Bald lief es darauf hinaus, daß, während er blind die Konturen ihres kleinen Gesichts betastete, sie ebenfalls blind das seine befühlte. Als er dann ihre zarten Schultern umfaßte, hielt sie die seinen fest, und so fort, bis sie den ganzen Körper des anderen kannten.
    Er begann zu lachen, und sie stimmte ein, als sie alle Teile ihrer Körper miteinander verglichen hatten. Er befühlte ihre seidige Unterlippe, ihren runden, glatten Bauch und ihre Kniekehlen, dann hob er sie hoch, trug sie wieder ins Bett zurück, um all diese feuchten Spalten, diese flaumigen Falten, diese warmen und pulsierenden Stellen zu suchen, die ihr allein ge-hörten. Draußen vor den Fenstern dämmerte der Morgen herauf.

    Die Sonne war aufgegangen, schickte ihre Strahlen ins Zimmer. Er saß am Fenster, die gefalteten Hände auf dem Sims, und wunderte sich darüber, daß er insgeheim an Domenico und an Raffaele dachte, und an den Kardinal Calvino. An letz-teren zu denken rief in ihm immer noch ein schmerzliches Ge-fühl hervor.
    Er hatte sie alle geliebt, das war das Wunderbare. Aber in dieser stillen Zeit blieb nichts von diesen Liebesbeziehungen, das ihn zu quälen vermochte. Guido, ja Guido liebte er mehr denn je, aber das war eine volle, stille, nicht mehr benötigte Leidenschaft.
    Und was war das hier?
    Er kam sich halb wahnsinnig vor. Der Frieden seines Schnee-traums war vorbei.
    Er sah Christina an.
    Sie lag auf ihrem Bett und schlief fest. Er fühlte sich ihr gegenüber als Ehemann, Bruder, Vater. Er wollte sie aus diesem Haus wegbringen, weit, weit weg von hier, aber wohin? An irgendeinen Ort, wo Schnee fiel? Oder zurück in jene Villa, wo sie für immer zusammenleben konnten? Ein schreckliches Gefühl der Schicksalhaftigkeit überkam ihn. Was hatte er getan? Was hatte er eigentlich gewollt? Er war nicht frei, um irgend jemanden zu lieben, nicht einmal, um das Leben selbst zu lieben.
    Er wußte, daß er sich, wenn er nicht sofort von ihr loskam, für immer an sie verlieren würde. Als er jedoch ihre unerklärliche Macht spürte, wollte er fast weinen. Oder wieder neben ihr liegen und sie einfach nur in den Armen halten.
    Jede Grausamkeit hätte sie ihm zufügen können, so verzweifelt liebte er sie. Ihm wurde klar, daß er in all seinen Liebesbeziehungen niemals Angst gehabt hatte, nicht einmal vor Guido hatte er sich je gefürchtet. Vor ihr aber fürchtete er sich, fürchtete er sich. Er wußte nicht, warum, nur, daß dies zeigte, wie groß die Macht war, die sie über ihn hatte.
    Aber sie würde ihm niemals weh tun. Er kannte sie. Er spürte, daß tief in ihrem Inneren eine großartige und

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