Falsetto
versuchte er, seine Absätze in den blanken Steinboden zu graben. Mit einem Mal wurde ihm klar, daß sich der Stuhl nicht gerührt hatte. Er war hilflos. Plötzlich wurde er ganz still.
Sie lächelte zu ihm hinunter, lächelte.
Er hatte den Kopf zur Seite gedreht, funkelte sie wütend an.
Da lachte sie. Es war ein tiefes, halb unterdrücktes Lachen, heiser und sinnlich wie ihre Stimme:
»Möchtest du mich noch einmal küssen, Vater?« flüsterte sie.
Und dieses wunderschöne Gesicht, dieses makellose, weiße Gesicht war zu dem lieblichsten und heitersten Lächeln erstarrt!
Er spuckte sie an.
Die Zähne zusammengebissen, die Hände ausgestreckt, als könne er sie mit seinen krallenden Fingern packen, spuckte er sie wieder an.
Dann sackte er nach hinten, zitternd, den Kopf abermals zur Seite gedreht. Mit niederschmetternder Deutlichkeit wurde ihm nun alles klar.
Die Bühne, das nicht enden wollende Gerede von seiner Schönheit, von seiner Fähigkeit, Illusionen zu erzeugen, davon, daß er im Rampenlicht der Inbegriff einer Frau war. Und dann diese Hände, diese entsetzlichen und schrecklichen Hände, und die Haut!
Er spürte, wie Übelkeit in ihm aufstieg. Er biß die Zähne zusammen und bot seinen ganzen Willen auf, um nicht in Panik zu geraten. Er wollte nicht um sich schlagen, diese Genug-tuung wollte er ihr nicht geben. Das Brüllen aber, das Stöhnen, das zwischen seinen Zähnen hervorbrach, konnte er nicht unterdrücken.
Sie! Er schloß bebend die Augen. Die Übelkeit überwältigte ihn jetzt. Er schluckte und zitterte. Als er die Augen wieder öffnete, stand da Tonio, den er jetzt erkannte, und hielt die große französische Perücke aus weißem Haar mit Perlen in den Händen.
Das Lächeln war von seinem Gesicht verschwunden. Seine geweiteten Augen hatten einen glasigen und erstaunten Ausdruck angenommen.
Er zog das schwarze Mieder aus, als wäre es eine Rüstung.
Die Röcke, deren Bänder er gelöst hatte, fielen zu Boden.
Und jetzt war da, in zerknittertem weißen Hemd und Hose, das Haar feucht und zerzaust, ein Riese von einem Mann. Ein Stilett mit edelsteinbesetztem Griff steckte in seinem Hosenbund.
Als er aus dem abgelegten Putz aus Taft herausstieg, rückte er dieses Stilett mit einer seiner langen Hände zurecht.
Carlo schluckte. Er hatte einen ekelhaften Geschmack im Mund. Das Schweigen flirrte nun zwischen ihnen wie die Vibration eines dünnen Drahtes.
Lange Zeit sahen sie einander an, dieser Dämon mit dem kalten Blick und dem Gesicht eines Engels und Carlo, der jetzt ein häßliches und leises Lachen von sich gab.
Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
Sie waren trocken, wund, die Unterlippe war in der Mitte ein-gerissen. Er schmeckte Blut.
»Meine Männer...«, sagte er.
»... sind zu weit weg, um dich zu hören.«
»Werden kommen...«
»... erst viel, viel später.«
Da fiel es ihm verschwommen wieder ein, diese Treppe, die immer höher und höher geführt hatte. Er hatte zu ihr gesagt:
»Aber da fließt irgendwo Wasser. Ich kann es hören, da ist irgendwo Wasser aus dem Kanal eingebrochen...« Er konnte den Kanal riechen. Und sie, das Luder, das Monster, der Dä-
mon, hatte geantwortet: »Das spielt keine Rolle. Hier wohnt niemand...«
Nein, in diesem Haus, diesem riesigen, verfallenden Haus, gab es niemanden, der ihn hätte hören können. Hier in diesem Zimmer, wo das Feuer hell strahlte, war er vorhin zum Fenster gegangen, um Luft zu schnappen, und hatte mit eigenen Augen gesehen, daß dort unten nicht die Straße lag, auf der seine Männer warteten, sondern der dunkle Schacht eines Innenhofes! Sie waren im Herzen des Gebäudes, sie hatte ihn das Schritt für Schritt sehen lassen!
Oh, es war so perfekt, so schlau.
Er war schweißgebadet. Und nach so jemandem habe ich zwei primitive Mörder ausgeschickt. Der Schweiß rann ihm den Rücken und die Achseln hinunter. Er spürte, daß seine Hände feucht und glitschig waren, obwohl er nichts anderes mit ihnen machte, als die Finger zu strecken und zu krümmen, strecken und krümmen, während er wieder gegen die Panik ankämpfte, gegen den Drang, sich aufbäumen zu wollen. Aber er wußte ja, daß dieser Eichenstuhl keinen Zentimeter nachgeben würde.
Wie oft hatte er Federico angewiesen, ihm aus den Augen zu bleiben, wenn er mit einer Frau zusammen war, wie oft hatte er ihm verboten, ihn aus irgendeinem fremden Bett zu holen?
Das Ganze war wunderbar inszeniert, aber es war keine Oper.
Und er hatte gesagt: »Er
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