Falsetto
habe!« behauptete Carlo.
»Wie lange hättest du noch gewartet, bis du zurückgekehrt wärst, um über mich herzufallen!« Er spürte, wie sein Gesicht rot und schweißnaß wurde, er schmeckte Salz auf seinen Lippen. »Alles, was du getan hast, hat mir gesagt, daß du kommen würdest! Du hast dir das Schwert deines Vaters schicken lassen, du hast deine Freizeit in Fechthallen verbracht, du warst keine sechs Monate in Neapel, da hast du einen anderen Eunuchen ermordet, und im Jahr darauf hast du einen jungen Toskaner in die Flucht geschlagen.
Und deine Freunde, deine mächtigen Freunde, sollte es denn nie aufhören, daß man mir davon erzählte, von den Lambertis, dem Kardinal Calvino, diesem di Stefano aus Florenz. Und dann hast du es gewagt, auf der Bühne meinen Namen zu verwenden. Das war, als hättest du mir den Fehdehandschuh ins Gesicht geworfen. Du hast dein Leben gelebt, um mich zu quälen. Du hast dein Leben gelebt, als wäre es eine Klinge, die auf meinen Hals zeigte!«
Er lehnte sich zurück. Sein ganzer Brustkorb tat ihm weh, aber oh, es fühlte sich gut an, so gut, das alles endlich auszusprechen, zu spüren, wie die Worte aus ihm heraussprudelten, ein unkontrollierbarer Strom aus Gift und Hitze.
»Was hast du geglaubt? Daß ich es leugnen würde?« Wütend funkelte er die stille Gestalt an, die vor ihm stand und mit diesen langen weißen Händen, diesen Klauen, am Elfenbeingriff des langen Messers herumspielte.
»Ich habe dich einst am Leben gelassen und erwartet, daß du dich für immer aus dem Staub machst. Aber du hast einen Narren aus mir gemacht. Gütiger Himmel, kein Tag ist vergangen, an dem man mir nicht von dir erzählt hat, an dem ich nicht gezwungen gewesen bin, über dich zu sprechen. Ich mußte dieses leugnen und jenes abstreiten, meine Unschuld beschwören und Tränen vortäuschen, Phrasen dreschen und Resignation zeigen. Und ich mußte lügen ohne Ende. Du hast einen Narren aus mir gemacht. Carlo, der Sentimentale, der sich scheut, dein Blut zu vergießen!«
»Oh, Vater, halte deine Zunge im Zaum«, kam Tonios erstauntes Flüstern. »Du bist unklug!«
Carlo lachte. Es war ein freudloses, trockenes Lachen, das den Schmerz in seinem Kopf zum Pulsieren brachte.
Er kippte den Wein hinunter, ohne es zu merken, und als er die Hand krampfhaft nach der Flasche ausstreckte, sah er sie auf ihn zugleiten, dann die Flüssigkeit in den Becher fließen.
»Ich bin also unklug?« Er lachte und lachte. »Wenn du von mir hören willst, daß ich es abstreite, wenn du mich betteln hören willst, dann wirst du sehr enttäuscht sein! Nimm deinen Degen, deinen berühmten Degen, denn den hast du sicherlich hier irgendwo versteckt, und gebrauche ihn! Vergieß das Blut deines Vaters! Zeige mir gegenüber nichts von der Gnade, die ich dir gegenüber gezeigt habe!«
Der Burgunder, den er in tiefen Zügen trank, kühlte ihn einen Augenblick lang, spülte über den Schmerz und über die Trok-kenheit dieses Lachens hinweg, in dem seine Worte fortgeris-sen wurden.
Er wollte sich mit der Hand den Mund abwischen. Es machte ihn wahnsinnig, daß er seinen Mund nicht erreichen konnte.
Er ließ den Wein gegen seine Lippen schwappen, während er abermals schauderte und ihn wieder dieses Gefühl der Panik überkam, dieser Drang, sich zu wehren, auch wenn es sinnlos war.
»Ich wollte diese Männer nicht nach Rom schicken!« sagte er.
»Ich hatte keine Wahl! Es wäre alles anders gelaufen, wenn sie zurückgekommen wären und mir erzählt hätten, daß du sanft und schüchtern geworden bist, wenn sie mir erzählt hätten, daß du dich sogar vor deinem eigenen Schatten fürchtest!
Ich habe solche Eunuchen gekannt, diesen verabscheuungs-würdigen alten Beppo, der sich in seiner Zelle erhängt hat, nachdem du Venedig verlassen hattest, diesen weichlichen Alessandro, der trotz all seiner Überheblichkeit absolut geistlos ist. Von einem Eunuchen wie diesem braucht man nichts zu fürchten. Aber du, oh, bei dir hat es nicht gewirkt! Du warst zu stark dafür, zu edel, deinem Großvater zu ähnlich, vielleicht warst du auch schon zu alt dafür! Und ständig hat man mir von dir erzählt, ich sage dir, es war, als würdest du neben mir auf dem Kissen liegen, als würdest du unter meinem Dach leben!
Was sollte ich tun? Sag du es mir! Ich hatte keine Wahl!«
Durch den Schleier von Kerzenrauch sah er Tonios Gesicht, auf dem sich immer noch erschrecktes Erstaunen malte, aber es war jetzt unnahbarer geworden und fast
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