Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
den Klang seiner Stimme hörte und dabei diese langen, langen weißen Finger sah, rüttelte ihn das aus seiner Betäubung auf.
    Plötzlich wurde er unruhig, er merkte, daß ihm in seiner Erinnerung ganze Teile des Nachmittags fehlten.
    Was hatte sie gesagt? Er hatte keine Ahnung, wie er aus der Gondel gekommen war.
    »Zu warm?« flüsterte sie. Wieder diese heisere Stimme, die in ihm den Wunsch weckte, ihre Kehle zu berühren.
    Als sein Blick wieder klar wurde, war es fast, als würde er sie nun zum ersten Mal sehen. Nicht ihre Hände, sondern sie im ganzen. Wenn er sie schon irgendwann einmal gesehen hatte, dann konnte er sich jetzt nicht mehr daran erinnern. Seine Männer waren ganz , ganz sicher in der Nähe, dachte er auto-matisch.
    Aber sie. Er betrachtete ihre verschwommene Silhouette, blinzelte dabei hier und da, kämpfte gegen die Trunkenheit an, während er seinen Becher hob. Der Burgunder schmeckte köstlich, wenn er auch nicht besonders stark war.
    »Sie haben doch nichts dagegen, meine Liebe«, sagte er, als er die Flasche in seiner Hand entkorkte.
    »Das brauchen Sie mich nicht immer wieder zu fragen.« Sie lächelte. Ihre Stimme war ein Hauchen, sie war wie ein Teil von ihr. Wann hatte er bei einer Frau je eine solche Stimme gehört?
    Sie trug eine französische Perücke. Makellose, weiße Locken ergossen sich über ihre Schultern, Perlen waren in die kleinen Ringellöckchen eingebettet, und oh, sie war so jung! Viel jünger, als er in der Gondel, wo sie ihm alterslos oder uralt erschienen war, geglaubt hatte. Und sie war fraglos eine Venezianerin, obwohl er nicht wußte, woran er das merkte.
    »Fast noch ein Kind«, sagte er jetzt sanft zu ihr, dann kippte sein Kopf plötzlich nach vorn, so daß er in den Nackenmus-keln ein heftiges Ziehen spürte. Sich um Würde bemühend, setzte er sich wieder gerade hin. Ihre Lippen waren nicht rosa, nicht blaßrot, sondern besaßen einen dunklen, natürlichen Ton. Nein, das war keine Farbe. Das hätte er in der Gondel geschmeckt, gerochen. Sie war einfach ein Traum von einer Frau, und dann diese Augen, die ihn anstarrten. Das Kleid zierte ein besticktes Band, das straff über ihre Brüste gespannt war. Er wollte seine Hand unter dieses straffe Band schieben, es lösen, ihre Brüste befreien.
    »Warum hast du all die Jahre gewartet, um zu mir zu kommen!« Er lachte schelmisch.
    Plötzlich aber veränderte sich ihr Gesicht.
    Es war, als hätte sie sich auf einmal im ganzen bewegt. Doch es geschah so schnell, daß er sich nicht sicher war, ob er das wirklich wahrgenommen hatte. Jetzt lehnte sie sich zurück, und der breite, sinnliche Mund öffnete sich zwanglos zu einem Lächeln, bei dem in ihren Augenwinkeln kleine Fältchen erschienen.
    Sie antwortete: »Es schien mir jetzt genau der richtige Zeitpunkt zu sein.«
    »Ja, genau der richtige Zeitpunkt«, sagte er. Oh, wenn du nur wüßtest, wenn du nur wüßtest. Stets spürte er, wenn er irgendeine Frau umarmte, seine eigene Frau in seinen Armen, er drückte seine Frau fester und fester an sich, nur um dann wieder diesen Augenblick des Entsetzens zu erleben, wenn er sah, daß es nicht Marianna war, daß es niemand war, daß es nur eine ... nur eine Hure war.
    Er dachte jetzt lieber nicht an all diese Dinge. Er dachte am besten an überhaupt nichts.
    Er streckte die Hand aus und schob die blendend helle Kerze, die vor ihm stand, ein wenig zur Seite.
    »Damit ich dich besser sehen kann, mein Kind.« Er machte sich über das französische Märchen lustig.
    Er lachte, lehnte sich mit dem Hinterkopf an den schweren Eichenstuhl mit der hohen Rückenlehne.
    Als sie sich jedoch, die Ellbogen auf den Tisch stützend, nach vorn beugte, so daß ihr Gesicht wieder vom Kerzenlicht beschienen wurde, erschrak er plötzlich. Er atmete heftig ein, versteifte sich und zog ein klein wenig die Schultern hoch.
    »Mache ich Ihnen angst?« flüsterte sie.
    Er gab ihr keine Antwort. Es war absurd, vor ihr Angst zu haben! Er spürte, wie das Verlangen, grausam zu sein, in ihm aufstieg, als er sich bewußt machte, daß sie ihn enttäuschen würde, daß hinter diesem geheimnisvollen Gesichtsausdruck letztendlich nur Koketterie liegen würde, vielleicht auch eine ordinäre Art, ganz gewiß aber Habgier. Plötzlich fühlte er sich schrecklich müde. Schrecklich erschöpft. Und dieses Zimmer war so eng. Er sah sich in sein eigenes Bett schlüpfen, er spürte Mariannas Körper neben sich. Bitter dachte er: Sie liegt im Grab.
    Außerdem war er

Weitere Kostenlose Bücher