Fame Junkies
dabei ein Display mit einem Stapel Mix-Soul-CDs von der Theke, die scheppernd zu Boden knallten.
Bis heute kann ich nicht sagen, was mich dazu getrieben hat, blitzschnell die Kamera aus der Tasche zu ziehen, einen Schritt zurückzutreten, zu zoomen und genau in dem Augenblick in rascher Folge mehrmals auf den Auslöser zu drücken, als Tatiana mit halb heruntergerutschter Sonnenbrille herumwirbelte und Conner eine schallende Ohrfeige verpasste.
Ich nahm selbst dann nicht den Finger vom Auslöser, als Tatiana mich in einer Mischung aus Entsetzen und Wut anstarrte, bevor sie Conner hochriss und aus dem Laden stürmte.
***
Ein Freund meines Vaters, der Fotoagent ist, verkaufte die Aufnahmen von Tatianas Ausraster an eine Klatschzeitschrift und eine Internetseite, die sich auf peinliche Promischnappschüsse spezialisiert hat. Ein paar Wochen später bekam ich einen Scheck über eine Summe zugeschickt, die mir als Vierzehnjährige wie ein Vermögen vorkam.
Und alles nur, weil ich ein paar Fotos geknipst hatte.
JAMIE Juni, 10. Klasse – NYC
In dem Apartment auf der Fifth Avenue wird eine unterkühlte Atmosphäre herrschen. Die Ölgemälde an den Wänden des Salons werden perfekt rechtwinklig ausgerichtet sein, die eleganten Seidenkissen kunstvoll auf den Sofas drapiert, die Rollläden alle exakt auf dieselbe Höhe heruntergelassen. Du wirst dich setzen, die Hände zwischen die Knie schieben und dich unbehaglich fühlen. Nervös. In diesem herrschaftlichen Penthouse im Zentrum der Metropole, die dir oft wie die lauteste Stadt der Welt vorkommt, wird es totenstill sein.
Eine Tür wird aufgehen und Avys Mutter wird mit einem weißen Pappkarton von FedEx in den Händen auf dich zukommen. Sie wird ein schlichtes, schwarzes Kleid und eine Perlenkette tragen. Ihr Gesicht wird blass sein, nur mit einem Hauch von Make-up geschminkt, und die dunklen Haare werden ihr glatt auf die Schultern fallen. Sie wird nichts mehr von der unerschütterlichen Selbstsicherheit der erfolgreichen Wirtschaftsanwältin ausstrahlen, als die du sie kennengelernt hast.
Mrs Tennent wird dir gegenüber auf dem Ecksofa Platz nehmen, die Schenkel aneinandergepresst, den Karton auf dem Schoß, die Augen rot gerändert und bekümmert. Sie wird lächeln, aber es wird nur der schwache Abglanz eines Lächelns sein, wie etwas, was aus einem früheren Leben übrig geblieben ist.
Ihr werdet beide erst auf den Karton schauen, dann den Blick heben und euch ansehen.
»Du passt doch gut darauf auf, nicht wahr?«, wird sie sagen. »Da drin ist alles, was wir von diesem letzten Jahr haben.«
»Natürlich. Ich werde gut darauf aufpassen«, versprichst du.
Mrs Tennent wird tief Luft holen und beim Ausatmen seufzen wie jemand, der lange mit sich gerungen hat, bevor er sich schließlich dafür entschied loszulassen. Sie hält dir den Karton hin und du nimmst ihn entgegen.
AVY April, 10. Klasse – im Tijuana Trolley
Kennt ihr vielleicht die Sitcom »Entourage«, die vor ein paar Jahren bei HBO lief? Darin geht es um einen jungen Schauspieler, der Vincent Chase heißt und gerade anfängt, in Hollywood Karriere zu machen. In einer Folge spricht sein Halbbruder Johnny Drama, der auch Schauspieler werden will, davon, sich Wadenimplantate einsetzen zu lassen. Ich weiß noch, dass ich damals darüber gelacht hab, aber mittlerweile weiß ich, dass die Szene absolut realistisch war. Dabei waren seine Waden eigentlich ganz okay, vielleicht ein bisschen dünn, aber wer jemals für eine Unterwäschewerbung oder eine Strandszene gecastet werden will, muss eben perfekte Waden haben.
Das ist jetzt mein dritter Trip nach Tijuana in die Klinik von Dr. Varga. Er hat schon meine Nase und mein Kinn gemacht und mir an den strategisch wichtigen Stellen Fett abgesaugt. Ich hab hundertprozentiges Vertrauen zu ihm, und vor allem zahle ich nur ein Drittel von dem, was ich dafür in L.A. hinblättern müsste.
Aber das ist jetzt definitiv das letzte Mal. Jamie hat Recht. Ich bin hier in La-La-Land in eine ziemlich kranke Szene reingerutscht. Sobald das mit den Implantaten geregelt ist, fliege ich nach New York zurück und konzentriere mich darauf, wieder total fit zu werden. Vielleicht klappere ich erst mal ein paar Agenturen nach Modeljobs ab und versuche dann langsam wieder ins Schauspielgeschäft einzusteigen. Über Werbespots und so. Schließlich hab ich in New York angefangen und war sogar auf dem besten Weg, nach oben zu kommen, wenn mir meine blöden Spießereltern nicht
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