Fame Junkies
hatte er sich nicht bei mir gemeldet. Ich hatte zwei Tage abgewartet und ihn dann angerufen, weil ich es nicht mehr ausgehalten hatte. »Mit dem läuft es gerade nicht so gut. Wir hatten vor ein paar Monaten einen kleinen Streit, weil ich ans Telefon gegangen bin, statt ihm zuzuhören, als er für ein Konzert geübt hat. Aber es war Carla, und da musste ich einfach rangehen. Ich hab das Gefühl, das nimmt er mir immer noch übel.«
»Hast du ihn denn mal darauf angesprochen?«
»Ja, schon ein paarmal. Er behauptet dann zwar immer, dass alles okay ist, aber er benimmt sich nicht so.«
»Ach, Wondergirl«, seufzte Avy. »Blöde Situation. Ich wünschte, ich wüsste, was ich dir raten soll. Du kannst ihn ja nicht zwingen, mit dir zu reden. Aber ich kann total gut verstehen, wie schlimm das für dich sein muss, wenn er einfach nicht mit der Sprache rausrückt. Das ist, als würde immer eine dunkle Wolke über dir schweben und du müsstest jeden Moment damit rechnen, dass es anfängt zu regnen.«
Ich spürte einen Kloß im Hals. Keiner verstand mich so gut wie Avy. Er war wirklich der allerbeste Freund, den man sich wünschen konnte, und ich vermisste ihn in dem Moment mehr denn je.
»Deine Eltern sind nicht die Einzigen, die wollen, dass du wiederkommst, Avy. Du fehlst mir so.«
»Du mir auch, Wondergirl. Du mir auch.« Seine Stimme klang plötzlich ungewohnt ernst. »Das Leben hier ist ziemlich hart und ich fühle mich manchmal ganz schön allein. Die ganze Zeit muss man Kontakte knüpfen und das ist so verdammt anstrengend, wenn man merkt, dass sich die Leute eigentlich gar nicht für einen interessieren. Ich komme mir manchmal vor wie der volle Versager, weil ich ständig nur die Tür vor der Nase zugeknallt bekomme. Ehrlich gesagt bin ich echt froh, dass meine Eltern wollen, dass ich auf die Professional Children’s Academy gehe. Da bin ich wenigstens mit Leuten zusammen, denen es genauso geht wie mir.«
»Du könntest doch auch einfach wieder zurückkommen«, sagte ich hoffnungsvoll.
»Und dann? Nein, Jamie, ich muss erst mal hier in L.A. bleiben. Außerdem wusste ich, dass es hart werden würde, aber wenn man seinen Traum wahr werden lassen will, muss man auch bereit sein, einiges dafür zu tun. Zum Beispie l …« Er zögerte kurz. »Ich fahre nächste Woche nach Tijuana.«
»Warum?«
»Um dort was machen zu lassen.«
»Wie … um was machen zu lassen?«
»Nase und Kinn.«
Mir fiel beinahe das Telefon aus der Hand. »Das meinst du doch nicht wirklich ernst, oder?«
»Du verstehst das nicht, Jamie. Hier in L.A. sieht man das viel entspannter.«
»Meinetwegen, aber ich wüsste nicht, was an deiner Nase und deinem Kinn auszusetzen wäre.«
»Ich lass ja nichts Großes machen.«
»Das ist Selbstverstümmelung, Avy.«
»Weißt du was? L.A. ist quasi die Hauptstadt der Selbstverstümmelten. Man könnte sie statt ›Stadt der Engel‹ auch ›Stadt der Verstümmelten‹ nennen.«
Er lachte, aber mir war nicht nach Lachen zumute. Das Thema war zu ernst, um darüber Witze zu reißen. Und das sagte ich ihm auch. Aber egal, welche Argumente ich anführte, er war nicht bereit, noch mal darüber nachzudenken. Avy schien überzeugt davon, dass er sein Aussehen verändern musste, um endlich den Erfolg zu haben, nach dem er sich so sehnte.
Danach kehrten wir unterhaltungstechnisch wieder auf sicheres Territorium zurück und hechelten die neuesten Promi-Klatschgeschichten durch – wir hätten stundenlang weiterreden können, wenn sein Akku nicht irgendwann schlappgemacht hätte. Als wir uns verabschiedeten, schien unsere kleine Meinungsverschiedenheit schon wieder vergessen zu sein. Trotzdem konnte ich das ungute Gefühl nicht abschütteln, dass Avy dabei war, eine völlig falsche Richtung einzuschlagen.
JAMIE
Februar, 10. Klasse – NYC
Ich war aufgeregt. Carla hatte angerufen und mir verkündet, sie hätte einen Wahnsinnsjob für mich, und jetzt saß ich mit feuchten Händen im Vorzimmer ihres Büros und konnte kaum still sitzen. Meine Karriere stagnierte jetzt schon seit fast einem Jahr, und ganz egal, welchen Job meine Agentin für mich hatte – ich brauchte ihn dringend.
Als Carla nach einer gefühlten Ewigkeit endlich aus ihrem Büro kam, ließ sie sich strahlend neben mich auf die Couch fallen und griff nach meinen Händen. »Die Sache ist so gut wie beschlossen«, sagte sie atemlos vor Begeisterung. »Das ist ein absoluter Traumjob, Jamie.«
Mein Herz schlug schneller. Ich wusste bereits, dass
Weitere Kostenlose Bücher