Familienalbum
Reihe. Sie hat ein ganzes Jahr darauf gewartet, und er hat, wie alle, seinen Geburtstag ja auch gehabt.
Seligkeit. Sie kann es nicht ganz fassen – das ist ihr Tag, ihr Geburtstag, der lang ersehnte Tag, der nie zu kommen scheint. Dieser Tag ist sogar noch schöner als Weihnachten, denn er gehört ihr ganz allein. Die Geschenke, die Geburtstagskarten, die Tatsache, dass sie jetzt acht ist, nicht mehr sieben. Acht, acht – sie lässt sich die Zahl auf der Zunge zergehen. Ich bin acht.
Da ist Dad; er steht mit Ingrid am Teich. Normalerweise bleibt Dad an Geburtstagen in seinem Arbeitszimmer, hinter geschlossener Tür, deshalb freut sich Gina, dass sie ihn sieht. Ingrid hat Clare bei sich; sie hebt Clare von ihrer Hüfte und scheint sie Dad hinzuhalten, aber Dad nimmt sie nicht. Natürlich nicht – Ingrid sollte inzwischen wissen, dass Dad keine Babys herumträgt.
Acht. Acht, acht, acht. Und ihr großes Geschenk von Mum und Dad ist ein neues Fahrrad, grün, mit Klingel und Satteltasche. Geburtstag. Ich habe Geburtstag. Und später gibt’s Geburtstagskuchen, und gleich beginnt die Schatzsuche. Aber Mum hat gesagt, dass sie nicht zu gierig sein und zu viele Münzen finden darf; sie muss den Jüngeren helfen, auch etwas zu finden, und ein paar Schätze für die Gäste übrig lassen. Gina kennt alle Verstecke, weil es solche Schatzsuchen schon öfter gegeben hat.
Sie wartet, die Augen auf Alison gerichtet, die mitten auf dem Rasen steht. Hinter ihr kann Gina Corinna sehen – Tante Corinna, aber sie sagen nicht Tante, nur Corinna. Sie ist auf die Terrasse herausgekommen und sieht auch zu – beobachtet Alison, den ganzen Garten. Und jetzt ruft Alison »Auf die Plätze – fertig – los!«, und sofort entdeckt Gina eine glänzende Münze, da drüben auf dem großen Stein.
*
Sie hat fünf Münzen. Fünf Schätze. Aber sie muss acht zusammenkriegen – acht für ihren achten Geburtstag. Es ist egal, wenn sie nicht die meisten Schätze findet, aber acht müssen es schon sein. Wo soll sie als Nächstes suchen? Nicht in dem großen Gebüsch, das durchkämmen Rowena und Sally, die haben sicher schon alles entdeckt. Das hohe Gras bei der Schaukel und das Blumenbeet unter der Terrassenmauer hat sie schon abgesucht. Sie läuft den Rasen hinunter zum Teichgarten. Ingrid sitzt auf der Grasböschung und spielt mit Clare; dahinter sieht Gina Sandra, die sich eifrig zwischen den Rohrkolben beim großen, rechteckigen Teich mit der Steineinfassung zu schaffen macht. Was findet sie dort?
»Geh weg«, sagt Sandra. »Ich such hier.«
»Ich kann auch hier suchen«, sagt Gina. »Das ist mein Geburtstag.«
Sie wühlen zwischen den Binsen herum, etwa einen Meter voneinander entfernt. Gina greift in ein dickes Büschel, um es zu durchsuchen, da sehen beide sofort den Schatz. Und beide stürzen sich, dicht am Teichrand, zugleich auf die Beute. Sie stoßen zusammen, Sandra schreit: »Ich hab’s zuerst gesehen! Das gehört mir!« Gina streckt die Hand aus, will zupacken … und das ist alles, woran sie sich erinnert.
Das stimmt nicht ganz. Da gibt es noch eine traumartige Filmsequenz, in der sie von uniformierten Männern auf einer Bahre davongetragen wird; Alisons verängstigtes Gesicht starrt auf sie herab, ihr Mund öffnet und schließt sich, aber Gina hat keine Ahnung, was sie sagt; dann ein anderes Bett woanders, ihr Kopf tut scheußlich weh, und jemand sagt: »Alles in Ordnung, Kleine, du wirst jetzt eine Weile schlafen.«
*
»Den Rettungsdienst«, spricht Corinna knapp in den Hörer. »Ein Kind mit Kopfverletzung. Allersmead, Temperley Avenue 14, eine Einfahrt mit weißen Torpfosten, auf der rechten Seite, wenn Sie Richtung Osten fahren.«
Sie kehrt auf die Terrasse zurück. Alison und Charles sind beim Teich. Alison kniet. Charles beugt sich herunter. Ingrid trommelt die anderen Kinder zusammen. »Kommt alle mit, kommt«, ruft sie fröhlich. »Wir gehen rein – die Schatzsuche ist zu Ende.« Aber die Kinder hören nicht. Roger sagt, dass er zur Mama will. Die Gastkinder sind bestürzt, aber auch neugierig; beklommen blicken sie zum Teich hinüber. Katie fragt, ob sie jetzt den Geburtstagskuchen essen können. Sandra scheint verschwunden. Ingrid hält Roger an der Hand und versucht, die anderen auf die Terrasse zu treiben. Das Baby schreit.
»Was genau ist passiert?«, fragt Corinna.
Ingrids helles, flaches, immer ziemlich unbewegtes Gesicht wird noch ausdrucksloser. »Ich konnte es nicht richtig sehen«, sagt
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