Familienaufstellungen
ansteigenden Zahl der Single-Haushalte, in Großstädten wie München liegt ihr Anteil bereits bei 54 Prozent, nehmen das Interesse an und die Sehnsucht nach Familie ständig zu. Familie bewegt sich heute in einem großen Spannungsfeld: Viele soziale, wirtschaftliche und religiöse Bindungen, die die Familie zusammengehalten, ja oft unfreiwillig zusammengezurrt haben, sind weggefallen. Stattdessen ziehen heute so viele Kräfte von außen an der Familie, dass es einer beständigen Konzentration auf das Miteinander bedarf, um die Familie als Lebensmittelpunkt zu erhalten.
Unter Jugendlichen hat die Familie seit der Jahrtausendwende kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. In der 16. Shell-Studie (2010) meinen inzwischen Dreiviertel aller Jugendlichen, dass man eine Familie brauche, um wirklich glücklich leben zu können. Fast so viele Jugendliche wollen eines Tages selbst eine Familie gründen, und ein Großteil dieser Jugendlichen will seine Kinder später einmal so erziehen, wie sie selbst erzogen wurden.
Das wachsende Interesse an familiären Beziehungen spiegelt sich auch in der therapeutischen Landschaft wider. Familientherapie gehört zu den beliebtesten und zugleich erfolgreichsten Therapieformen. Viele Menschen suchen heute (wieder) ihr seelisches Wohlbefinden im Kontext ihrer wichtigsten Bindungen zu verstehen. Sie suchen nach Lösungen, die nicht mehr nur ihr individuelles Glück, sondern auch das Glück der anderen und das Glück in Beziehung zu den anderen im Blick haben.
In der systemischen Familientherapie steht diese wechselseitige Vernetzung im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wie wirkt sich das Denken und Handeln des einen auf all die anderen aus? Wie wirktsich beispielsweise die Krankheit eines Familienmitglieds oder die Außenbeziehung eines Elternteils oder die Lese-Rechtschreib-Schwäche eines Kindes auf alle anderen aus und was können alle Betroffenen als Beteiligte dieses Familiensystems zur Lösung des Problems beitragen? Die systemische Familientherapie bespricht nicht nur diese Themen, sondern sie kennt eine Vielzahl von Methoden, um diese Wechselwirkungen in Beziehungsnetzen sichtbar, hörbar und spürbar zu machen. Drei dieser darstellenden Methoden werde ich Ihnen in diesem Buch explizit vorstellen: die Familienskulptur, die Familienrekonstruktion und die Familienaufstellung. Zum tieferen Verständnis dieser Methoden werden Sie zentrale Grundannahmen der systemischen Familientherapie kennenlernen.
Eine Methode der systemischen Familientherapie ist in den 90er-Jahren sehr bekannt geworden: die Familienaufstellung. In Großveranstaltungen praktizierte Bert Hellinger seine Form der Familienaufstellung und löste damit diese Methode aus dem therapeutischen Kontext heraus. Eine große Öffentlichkeit erlebte nun mit, welche Wechselwirkungen in einem Familiensystem ablaufen, wie familiäre Bindungen sich über Generationen auf das Leben des Einzelnen auswirken können und wie ein Familiensystem sich neu strukturieren kann, wenn alte traumatische Erfahrungen gesehen und geachtet werden. Diese oft verblüffenden Lösungen faszinierten viele suchenden Menschen, zogen sie geradezu magisch an. Doch durch apodiktisch wirkende Aussagen während der Aufstellungen erregte Hellinger auch kontroverses Aufsehen. Kritiker warfen ihm vor, er zementiere ein patriarchalisches Familienbild, wenn er eine bestimmte Ordnung in der Aufstellung vorgab.
Hellinger traf andererseits auch den Nerv der Zeit, als er 1994 die »Ordnungen der Liebe« veröffentlichte. In einer Zeit, da Beziehungen als brüchig erlebt werden und die Sehnsucht nach einer heilen Familie so groß ist wie nie zuvor, werden Ordnungen der Liebe dringend gesucht. Diese Ordnungen beinhalten beispielsweise, dass die Eltern vor ihren Kindern Vorrang haben. So kann das Familienlebennur gelingen, wenn die Eltern die Verantwortung für ihre Kinder übernehmen und für sie Sorge tragen – nicht umgekehrt. Versucht aber ein Kind, für die Eltern zu sorgen, z.B. deren Ehe zu retten, zahlt das Kind für die Verdrehung der Ordnung einen hohen Preis.
Damals wurde ich häufig gefragt, was es mit diesen Familienaufstellungen auf sich habe, ob das Angebot in diesen Seminaren wirklich seriös sei. »Hast du so eine Hellinger-Ausbildung gemacht?« »Ich habe gehört, dass dort ganz irre Zusammenhänge erkannt werden können.« »Meine Freundin weiß jetzt, dass sie gar nicht das erste Kind ihrer Eltern ist, was sie schon immer bezweifelt hat. Wie erklärst du dir
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