Familienbande
restlichen Weg nach Hexham legte er in einem Krankenwagen zurück, der ihn mit Schock, schweren Hautabschürfungen sowie Dementia taxitis in die dortige Klinik einlieferte. Als er wieder reden konnte, ließ er Mr. Wieman kommen.
»Ich verlange, daß ein Durchsuchungsbefehl ausgestellt wird«, sagte er.
»Aber einen Durchsuchungsbefehl können wir erst beantragen, wenn wir ausreichend Beweise für Steuerhinterziehung vorlegen, um einen Richter zu überzeugen«, wandte Mr. Wieman ein, »und wenn ich ehrlich sein soll...«
»Wer hat hier was von Steuerhinterziehung erzählt, Sie Trottel?« quäkte Mr. Mirkin. »Ich spreche von Körperverletzung und beabsichtigtem Totschlag, von versuchtem Mord ...«
»Bloß weil es ziemlich stark geregnet hat«, sagte Mr. Wieman, »und Sie von einem Schauer überrascht ...«
Mr. Mirkin reagierte dermaßen aggressiv, daß man ihm Beruhigungsmittel verabreichen und Mr. Wieman sich in der Notaufnahme auf eine Liege legen und seine Nase oberhalb des Rückens fest drücken mußte, damit sie zu bluten aufhörte.
Doch Mr. Mirkin war nicht der einzige, der einen Verlust erlitten hatte. Daß Mrs. Flawses von Goldsovereigns umgebene Leiche in einem Granattrichter gefunden wurde, war ein schwerer Schlag für Jessica.
»Arme Mami«, sagte sie, als ein Offizier der Königlichen Artillerie ihr die traurige Nachricht überbrachte, »sie hatte schon immer einen schlechten Ortssinn, und es ist gut zu wissen, daß sie nicht gelitten hat. Sie sagten doch, daß der Tod sofort eintraf?«
»Ohne jeden Zweifel«, sagte der Offizier; »zuerst haben wir sie eingegabelt, dann aus allen sechs Rohren eine Salve abgefeuert und das Ziel prima erwischt.«
»Und Sie sagen, sie sei von Sovereigns umgeben gewesen?« fragte Jessica. »Das hätte sie wirklich stolz gemacht. Sie war schon immer eine Verehrerin der Königlichen Familie, und zu wissen, daß diese in der Stunde der Not an ihrer Seite war, ist ein großer Trost.«
Sie ließ einen einigermaßen verdutzten Offizier zurück und widmete sich der dringenderen Aufgabe des Nestbaus. Seit zwei Wochen war sie schwanger. Lockhart blieb es überlassen, sich bei dem Major für die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen, die Mrs. Flawse durch ihr Versäumnis, auf ihren Weg zu achten, verursacht hatte.
»Ich bin selbst ein entschiedener Gegner von unbefugtem Betreten«, erklärte er, als er den Offizier zur Tür brachte, »macht das Wild völlig kopfscheu, wenn die Leute ohne die geringste Berechtigung überall durch die Landschaft wandern. Wenn Sie mich fragen œ und natürlich ohne daß meine Frau es erfährt œ, hat die Alte bekommen, was sie verdient. Ganz hervorragend gezielt!« Der Major überreichte ihm das Mrs. Flawse enthaltende Marmeladenglas und verschwand schleunigst.
»So was von Kaltschnäuzigkeit ist mir auch noch nicht untergekommen«, murmelte er, als er den Hang hinunterfuhr. Hinter ihm wollte Mr. Dodd das Marmeladenglas gerade in das Gurkenbeet leeren, als Lockhart ihn aufhielt. »Sie war Großvater zuwider«, sagte er, »außerdem wird es ein offizielles Begräbnis geben.« Mr. Dodd erklärte, seiner Meinung nach sei das ein Fall von
Sargverschwendung, aber nichtsdestotrotz wurde Mrs. Flawse zwei Tage später neben Mr. Taglioni zur letzten Ruhe gebettet. Diesmal war Lockharts Inschrift auf dem Grabstein nicht ganz so zweideutig und lautete:
»Mrs. Flawse liegt unter diesem Stein Die törichterweise im Freien wollt sein. Im Granatenfeuer sie ums Leben kam, Wem sie fehlt, der zeige seinen Gram.«
Die letzte Zeile fand Jessica besonders rührend.
»Mami war so eine wunderbare Frau«, teilte sie Mr. Bullstrode und Dr. Magrew mit, die sich ein wenig widerwillig bei der Beerdigung sehen ließen, »von der Vorstellung, daß sie in einem Gedicht Unsterblichkeit erlangt, wäre sie begeistert
gewesen.«
Dr. Magrew und Mr. Bullstrode waren sich da nicht so sicher.
»Ich hätte es vorgezogen, wenn die letzte Zeile ein wenig persönlicher ausgefallen wäre«, sagte der Doktor mit einem Blick auf den von Mr. Dodd gestifteten Kranz samt Marmeladenglas. Letzteres enthielt die blecherne Kopie eines Sovereigns. Mr. Bullstrode beschäftigte eher die Rolle des Heeres in dieser Angelegenheit.
»‹Von den Offizieren und gemeinen Soldaten ...¤«, las er von der an einem großen Kranz befestigten Schleife ab. »Nach allem, was ich gehört habe, hätten sie die Gemeinen besser weggelassen. In Anbetracht der Ereignisse wäre das taktvoller gewesen.« Beim Verlassen des
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