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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Lockhart, keusch den Tafelberg zu besteigen und sich auf seinem Gipfel wechselseitig anzuhimmeln. Als sich das Schiff auf den Rückweg machte, hatten sich nur ihre Namen und Kabinen geändert. Mrs. Sandicott war plötzlich mit dem alten Mr. Flawse zusammengesperrt und sexuellen Ausschweifungen ausgeliefert, die früher für seine ehemaligen Haushälterinnen und in letzter Zeit für seine Phantasie reserviert gewesen waren. In ihrer ehemaligen Kabine lagen sich Jessica und Lockhart in den Armen, von einem anderen Zweck ihrer Ehe so wenig ahnend, wie sie in ihrer Erziehung erfahren hatten. Weitere elf Tage lang fuhr das Schiff gen Norden, und als die beiden Ehepaare in Southampton von Bord gingen, konnte man behaupten, daß sie alle œ von Mr. Flawse abgesehen, dessen Ausschweifungen seine Kräfte so überstrapaziert hatten, daß er in einem Rollstuhl die Gangway hinuntergetragen werden mußte œ in ein neues Leben traten.
     

Kapitel 4
     
    Wenn die Welt von Flawse Hall auf der Flawse-Hochebene unterhalb der Flawse-Hügel entschieden dazu beigetragen hatte, Jessica klarzumachen, daß Lockhart der Held war, den sie heiraten wollte, so hatte die Welt von Sandicott Crescent in East Pursley, Grafschaft Surrey, für Lockharts Wahl überhaupt keine Rolle gespielt. Für einen wie ihn, der die moorigen Hochflächen an der englischschottischen Grenze gewohnt war, wo die Brachvögel riefen, ehe er sie abknallte, war Sandicott Crescent eine Sackgasse, an der zwölf gediegene Häuser in gediegenen Gärten standen und von gediegenen Mietern mit gediegenen Einkommen bewohnt wurden, eine eigenartige Welt, anders als alles, was er kannte. Der in den dreißiger Jahren von dem vorausschauenden, wenn auch mittlerweile verblichenen Mr. Sandicott als Kapitalanlage erbaute Komplex, wurde im Süden durch einen Golfplatz und im Norden durch ein Vogelschutzgebiet begrenzt, einem mit Ginster und Birke bestandenen Landstrich, der eigentlich weniger dem Schutz von Vögeln als der Erhaltung des Grundstückswertes von Mr. Sandicotts Kapitalanlage diente. Kurz gesagt: Es war eine Enklave von großen Häusern mit sorgfältig angelegten Gärten. Alle Häuser waren vom Baustil her so unterschiedlich und vom Komfort her so ähnlich, wie es der Erfindungsreichtum von Architekten nur bewerkstelligen konnte. Pseudo-Tudor herrschte vor, mit einer Prise spanischem Kolonialstil Marke Börsenmakler œ Markenzeichen: grüne Kacheln œ und einem Britisch-Bauhaus mit Flachdach, kleinen quadratischen Fenstern und dem einen oder anderen Bullauge für den maritimen Touch. Und überall waren die Bäume und Büsche, Rasen und Steingärten, Buschrosen und Heckenrosen sorgfältig beschnitten und gestutzt, um auf die Kultiviertheit ihrer Besitzer und die Exklusivität der Gegend hinzuweisen. Alles in allem stellte Sandicott Crescent den Vorort in Reinkultur dar, den Gipfel jenes architektonischen Dreiecks, das den höchsten Punkt auf der topographischen Karte des Mittelstandsehrgeizes markierte. Daraus ergab sich, daß die Kommunalsteuern exorbitant hoch und die Mieten festgelegt waren. Bei aller Umsicht hatte Mr. Sandicott weder das Mietgesetz noch die Veräußerungsgewinnsteuer vorhersehen können. Ersteres legte fest, daß man weder Mieter an die Luft setzen noch die von ihnen gezahlte Miete auf eine profitable Summe erhöhen durfte, letztere bewirkte, daß der Verkauf eines Hauses für den Finanzminister lohnender war als für den Eigentümer; gemeinsam machten Mietgesetz und die Steuer Mr. Sandicotts gesamte Vorsorge für die Zukunft seiner Tochter zunichte. Schließlich, und dies war in Mrs. Sandicotts Augen am allerärgerlichsten, hielten sich die Bewohner der Siedlung körperlich fit, achteten auf eine ausgewogene Ernährung und weigerten sich durchweg, ihr den Gefallen zu tun und zu sterben.
Hauptsächlich der Umstand, zwölf unverkäufliche Häuser am Hals zu haben, deren gesamte Mieten kaum die Instandhaltungskosten deckten, überzeugte Mrs, Sandicott davon, daß Jessica inzwischen das Alter der Reife erreicht hatte, das von ihrer Mutter bisher so gründlich hinausgezögert worden war. Während Mr. Flawse sich der Belastung durch Lockhart entledigt hatte, war Mrs. Sandicott mit Jessica ebenso verfahren, und zwar ohne nähere Erkundigungen über Mr. Flawses Vermögen einzuholen. Daß er zweitausend Hektar Land, ein Herrenhaus und nur noch ein paar Jahre zu leben hatte, schien genug zu sein.
Beim Verlassen des Schiffes waren ihr die ersten Zweifel gekommen.

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