Familienbande
nicht allzu schwer sein. Laden Sie ihn zum Essen ein. Klar?«
»Ihn zum Essen einladen?« wiederholte Lockhart. »Wer zahlt?« »Die Firma zahlt, Sie Trottel. Ich sagte doch ausdrücklich ‹auf Geschäftskosten¤ oder?« Er entfernte sich zwar
niedergeschlagen, aber in dem Bewußtsein, daß Lockhart schwerlich ein Essen mit einem der ältesten Klienten der Firma vermasseln konnte. Mr. Stoppard war, wenn es hochkam, ein schweigsamer Mensch, und als Gourmet sagte er während einer Mahlzeit kaum etwas. Als Mr. Treyer zurückkam, fand er einen überaus redseligen Mr. Stoppard vor. Mr. Treyer versuchte, ihn zu besänftigen, und ließ Lockhart kommen, als er den Mann endlich losgeworden war.
»Warum um alles in der Welt haben Sie den verfluchten Mann in einen Schnellimbiß geschleppt?« fragte er, bemüht, seinen Blutdruck unter Kontrolle zu bringen.
»Sie sagten, das Essen gehe auf Geschäftskosten, und da habe ich gedacht, warum sollten wir Geld zum Fenster rauswerfen und ...«
»Gedacht?« brüllte Mr. Treyer und ließ Blutdruck Blutdruck sein. »Gedacht? Und Geld zum Fenster rauswerfen? Wofür ist Ihrer Meinung nach ein Geschäftsessen denn sonst da, wenn nicht, um Geld zum Fenster rauszuwerfen? Das Essen läßt sich von der Steuer absetzen!«
»Wollen Sie damit sagen, je mehr es kostet, desto weniger zahlen wir?« fragte Lockhart. »Jawohl«, seufzte Mr. Treyer, »genau das will ich damit sagen. Das nächste Mal ...«
Das nächste Mal lud Lockhart einen Schuhfabrikanten aus Leicester zu einer fürstlichen Speisung für insgesamt hundertfünfzig Pfund in den Savoy Grill ein, weigerte sich jedoch anschließend, mehr als fünf Pfund zu zahlen. Es bedurfte der vereinten Bemühungen des Schuhfabrikanten und Mr. Treyers, den man trotz seiner Grippe eilig herbeigeholt hatte, Lockhart zu überzeugen, daß er die hundertfünfundvierzig Pfund Differenz begleichen sowie den Schaden ersetzen mußte, den er in der vorausgegangenen heftigen Auseinandersetzung an drei Tischen und vier Kellnern angerichtet hatte. Anschließend drohte Mr. Treyer in einem Brief an Mrs. Flawse mit seiner Kündigung, falls Lockhart nicht aus der Firma entfernt würde, und während er auf eine Antwort wartete, untersagte er diesem, außer um auszutreten sein Büro zu verlassen.
Doch wenngleich Lockhart, um es so dezent auszudrücken, wie es der moderne Sprachgebrauch erlaubt, in der Wheedle Street unter beruflichen Anpassungsschwierigkeiten litt, verlief seine Ehe weiterhin so harmonisch, wie sie begonnen hatte; und ebenso keusch. Was fehlte, war nicht Liebe œLockhart und Jessica waren leidenschaftslos verliebt œ, sondern Sex. Die anatomischen Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen, die Lockhart beim Zerlegen von Kaninchen entdeckt hatte, galten augenscheinlich auch für Menschen. Er hatte Eier und Jessica nicht. Jessica hatte Brüste, und zwar große, er aber nicht œ oder höchstens in sehr rudimentärer Form. Was die Angelegenheit zusätzlich komplizierte, war die Tatsache, daß er, wenn sie nachts zu Bett gingen und sich in den Armen hielten, eine Erektion bekam, Jessica aber nicht. Er war zu tapfer und zu sehr Gentleman, um zu erwähnen, daß er das bekam, was man ordinärerweise »dicke Eier« nannte, und einen Teil der Nacht Qualen litt. Sie hielten sich einfach in den Armen und küßten sich. Von dem, was danach kam, hatte er genausowenig Ahnung wie Jessica. Die Bemühungen ihrer Mutter, ihre Reife zu unterdrücken, waren ebenso erfolgreich verlaufen wie Mr. Flawses Bemühungen, seinen Enkel vor den sexuellen Lastern seiner Mutter zu bewahren. Lockharts Bildung, die auf den ältesten der klassischen Tugenden ruhte, verstärkte diese Unwissenheit noch und rundete Jessicas Vorliebe für die seichtesten historischen Liebesromane ab, in denen Sex nicht einmal erwähnt wurde. Und so führte diese trostlose Kombination zu einer derartigen gegenseitigen Idealisierung der beiden, daß Lockhart sich unmöglich vorstellen konnte, etwas Konkreteres zu tun, als Jessica zu verehren, so daß es Jessica unmöglich war, zu empfangen. Kurzum, ihre Ehe wurde nie vollzogen, und als Jessica nach sechs Wochen weniger heimlich als zuvor ihre Tage bekam, wollte Lockhart spontan den Notarzt rufen. Mit Mühe gelang es Jessica, ihn davon abzuhalten.
»Das passiert einmal im Monat«, sagte sie, mit einer Hand eine Binde festhaltend, mit der anderen den Telefonhörer auf die Gabel drückend.
»Gar nicht wahr«, widersprach Lockhart, »so hab‘ ich in meinem
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