Familienbande
Mr. Flawse hatte darauf bestanden, sofort den Zug nach London zu nehmen, dort nach Newcastle umzusteigen, und sich standhaft geweigert, Mrs. Flawse zuerst ihre Habseligkeiten mitnehmen oder sich von ihr in ihrem großen Rover gen Norden fahren zu lassen.
»Ma‘am«, sagte er, »ich habe kein Vertrauen in den gräßlichen Verbrennungsmotor. Ich bin vor ihm auf die Welt gekommen und habe nicht vor, hinter ihm zu sterben.« Mrs. Flawses Einwände konterte er mit dem Befehl an den Träger, ihr Gepäck in den Zug zu bringen. Mr. Flawse folgte dem Gepäck, und Mrs. Flawse folgte ihm. Lockhart und Jessica blieb nichts anderes übrig, als direkt in das Haus Nummer 12 Sandicott Crescent zu ziehen und zu versprechen, Mrs. Flawses Sachen zu verpacken und mit dem Möbelwagen so schnell wie möglich nach Flawse Hall schicken zu lassen.
Und so begann das junge Paar sein unorthodoxes Eheleben in einem Haus mit fünf Schlafzimmern, einer Doppelgarage und einer Werkstatt, wo der handwerklich begabte, verblichene Mr. Sandicott gebastelt hatte. Jeden Morgen verließ Lockhart das Haus, ging zum Bahnhof und nahm den Zug nach London. Dort trat er in den Büroräumen von Sandicott & Partner seine Lehre unter Mr. Treyer an. Von Anfang an gab es Schwierigkeiten. Diese beruhten weniger auf Lockharts Rechenkünsten œ seine eingleisige Erziehung hatte ihn mathematisch hervorragend gerüstet œ als auf seiner direkten Behandlung des Problems Steuerumgehung oder auch, wie Mr. Treyer es lieber nannte, Einkommenssicherung.
»Einkommens- und Vermögenssicherung«, erklärte er Lockhart, »klingt positiver als Steuerumgehung. Und wir müssen unbedingt positiv sein.«
Lockhart nahm seinen Rat zu Herzen und kombinierte ihn mit der positiven Einfachheit, die er in Einkommensteuerfragen von seinem Großvater kannte. Da der alte Mann, der sämtliche Geschäfte, wenn irgend möglich, auf Bargeldbasis abwickelte, sich angewöhnt hatte, jeden Brief des Finanzamtes ungelesen ins Feuer zu werfen, und zudem Mr. Bullstrode anwies, das Bürokratenschwein davon in Kenntnis zu setzen, daß er Geld verlor und nicht einnahm, war Lockharts Übernahme dieser Methoden bei Sandicott & Partner zwar anfänglich erfolgreich, auf lange Sicht jedoch katastrophal. Mr. Treyer hatte zunächst begeistert registriert, wie leer sein EINGÄNGE-Korb war, und erst als er bei einem frühmorgendlichen Eintreffen bemerkte, wie Lockhart die Toilette als Verbrennungsanlage für sämtliche amtlichen Umschläge benutzte, ging ihm der Grund für das plötzliche Ausbleiben von Steuerforderungen auf. Schlimmer noch, Mr. Treyer hatte seit langem den von ihm so genannten Nichtexistierender-Brief-Trick verwandt, um Finanzbeamte so zu verstören, daß sie durchdrehten oder um Versetzung baten. Mr. Treyer war stolz auf seinen Nichtexistierender-Brief-Trick. Er bestand aus Pseudo-Antwortschreiben, die mit der Formulierung »Ihr Brief vom 5. d. M. nimmt Bezug auf ...« begannen, obwohl überhaupt kein Brief vom 5. eingegangen war. Das sich anschließende immer erbittertere Leugnen der Finanzbehörde sowie Mr. Treyers fortgesetztes Beharren waren zwar vorteilhaft für seine Klienten gewesen, nicht jedoch für die Nerven der Beamten. Lockharts Brandstiftung beraubte ihn der Möglichkeit, Briefe mit der Floskel »Ihr Brief vom 5. d.M. nimmt Bezug auf ...« zu beginnen und sicher zu wissen, daß es kein solches Schreiben gab.
»Gut möglich, daß ein halbes Dutzend verfluchte Briefe vom
5. existieren, die alle auf irgendeine ungeheuer wichtige Information Bezug nehmen, von der ich nicht das mindeste weiß«, brüllte er Lockhart an, der prompt vorschlug, er möge es doch mal mit dem 6. versuchen. Mr. Treyer glotzte ihn aus hervorquellenden Augen an.
»Ein verflucht überflüssiger Vorschlag, schließlich haben Sie die auch verbrannt«, schrie er.
»Nun, Sie haben mir gesagt, unsere Aufgabe sei es, die Interessen unserer Klienten wahrzunehmen und positiv zu sein«, sagte Lockhart, »und daran habe ich mich gehalten.«
»Wie zum Teufel sollen wir die Interessen unserer Klienten wahrnehmen, wenn wir sie nicht kennen?« wollte Mr. Treyer wissen.
»Aber das tun wir doch«, entgegnete Lockhart. »Es steht alles in ihren Akten. Nehmen wir beispielsweise Mr. Gypsum, den Architekten. Ich habe neulich in seinen Akten nachgelesen; er hat im vorvorigen Jahr 80000 Pfund verdient, aber lediglich 1758 Pfund Einkommensteuer bezahlt. Der Rest waren Unkosten. Moment mal: Im Mai hat er 16000 Pfund auf den Bahamas
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