Familienpackung
Mitleid hält sich in Grenzen. Beim dritten Thema beginne ich, mich zu entspannen. Es geht um Hautausschlag und neue Therapien. Noch acht Minuten Sendung. Ich schöpfe Hoffnung. Zu früh. Nach dem Hautausschlag bin ich dran. Die Moderatorin verdüstert ihren Gesichtsausdruck und legt los:
»Seit heute begleitet ein Team von Explosiv Menschen, die sich darum kümmern, dass in unserem Land Recht und Ordnung herrscht. Menschen, die eine harte Arbeit erledigen, dafür wenig verdienen und sich jede Menge Grobheiten anhören müssen. Kontrolleure. Unsere Reporterin Marina Taub berichtet heute von einem besonders perfiden Fall.«
Und da stehen die drei Kontrolleure. Noch auf dem Bahnsteig in Rödelheim. Ausgangspunkt meines Spitzenerlebnisses. Bis dahin war ja noch alles gut. Sie lächeln in die Kamera, halten ihre Ausweise hoch und besteigen eine S-Bahn. Die, in der ich sitze. Ich erkenne mich schon von weitem. An meinem Mantel. Der übrigens, das nur nebenbei
bemerkt, im Fernsehen sehr gut kommt. Die Kinder schreien: »Mama, da bist du im Fernsehen.« Ich schicke sie sofort auf ihr Zimmer. Sie wollen widersprechen, merken aber an meinem Tonfall, dass da gar nichts drin ist. Jetzt laufen die Kontrolleure auf mich zu. Huch, was haben die denn mit meinem Kopf gemacht. Geschwärzt. So schraffiert. Ich bin eine Frau ohne Kopf. Ist das jetzt gut oder schlecht? Ich meine, da ist man schon mal im Fernsehen – und dann ohne Gesicht. Andererseits, welch ein Glück. Ohne Gesicht sieht man doch ziemlich anders aus. So schnell erkennt mich da keiner. Eine Sprecherstimme, tiefernst selbstverständlich, schildert den Vorfall chronologisch: »Immer wieder staunen die Kontrolleure, denn sie treffen auf Straftäter, von denen sie ein solches Vergehen nie erwartet hätten.« Jetzt eine Großaufnahme von mir. Ich rede. Habe sozusagen eine richtige Sprechrolle. Auch meine Stimme klingt seltsam verzerrt, als ich sage: »Ich fahre nicht schwarz, sondern ich finde meine Fahrkarte einfach nur nicht.« Ich hätte mir auf jeden Fall geglaubt. Ich wirke grundehrlich, allerdings ein wenig hektisch, wie ich so in meinen Taschen krame. Jetzt sieht man die Reporterin. Da hat sich dieses Luder doch einfach mitten in den Bericht reingeschnitten. Ein tiefer Blick in die Kamera und ihr Text beginnt, »Ausreden, die unsere Kontrolleure nur zu gut kennen. Natürlich fallen sie auf diese Sprüche längst nicht mehr rein.« Unverschämt, die Frau. Ich fand mich sehr überzeugend, hätte mir eben fast selbst geglaubt. Jetzt hat die ekelhafte Kindergartenputzpetze ihren Auftritt. Die Reporterin kündigt sie an: »Pech für die Schwarzfahrerin, es gab Zeugen für ihr unfaires Tun.« Meine Güte, wie die Petzliese rumhesselt. Und das im Fernsehen. Die Empörung
und der Geifer schwappen geradezu aus der Glotze raus. Das Denunziantentum lebt. Aber, das muss ich ihr zugestehen: Sie wirkt echt. Glaubhaft. Mist. Sie ist besser als ich. Absolut authentisch. Jetzt bin ich wieder dran. Man sieht, wie ich mental einbreche, stammle und dann heulend auf dem Bahnsteig stehe. Man merkt, dass ich weine, obwohl mein Gesicht nicht zu sehen ist. Aber das Geschniefe ist mehr als eindeutig. Hätte ich bloß den bunten Mantel nicht angezogen. Er leuchtet geradezu aus dem Fernseher raus und schreit dabei: »Ich bin’s – der Mantel von Andrea. Hallo guckt mich an!« Bisher war ich stolz, den Mantel noch nie an jemand anderem gesehen zu haben. Jetzt ist genau das das Problem. Der Text zu meinem Auftritt ist schlimm: »Jetzt zeigt sie Reue und ihr wird das Ausmaß ihres Handelns klar. Sie hat nicht nur betrogen, sondern offensichtlich auch gelogen.« Wieder darf die Kindergartenpetze ihren Spruch sagen. Dass ausgerechnet RTL jetzt zum Moralapostelsender der Nation wird, ist fast schon witzig. Wäre sogar sehr witzig, wenn nicht ich die Angeklagte wäre. Mit meinem Wohnzimmer endet der Bericht dann. Jetzt sagt die Stimme: »Hier lebt die Frau, die es sich anscheinend nicht leisten kann, eine Fahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr zu kaufen. Betrüger gibt es eben überall. Menschen, die auf unsere Kosten leben.«
In der letzten Einstellung, ohne Mantel, sehe ich auch noch mopsig aus. Mopsig mit Tablett in der Hand. Ich hatte die Jeans an, die, wie meine Mutter sagt, etwas unvorteilhaft für meine Schenkel ist. Es stimmt. Und mein Wohnzimmer sieht auch nicht besonders aus. Eben ein klein bisschen unaufgeräumt. Dafür aber sehr weitläufig. Und die böse Stimme sagt: »Sie
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