Familienpackung
ich ja selbst nie drauf gekommen. »Ich jedenfalls gehe nochmal in die Kanzlei, bringe unsere Tochter zu deiner Mutter und fahre dich dann heute Mittag, wie abgemacht, in die Klinik. Wenn du heute Vormittag noch shoppen willst, bitte sehr.«
»Danke sehr.« Wenn der so kurz vor der Entbindung noch Streit will, kann er den haben.
Er merkt, dass ich sauer bin. Kommt angeschlichen. Streichelt meinen Bauch. »Andrea, es wird doch alles gut.« Guckt der jetzt heimlich Nina Ruge in der Kanzlei oder was soll der Spruch? »Wenn ich eine ordentliche Tasche habe, besteht Aussicht darauf«, bleibe ich hartnäckig. »Schatz, ich muss nur eben nochmal in die Kanzlei, du weißt, ich will den Schriftsatz noch fertigmachen, bevor die ganze Sache losgeht.« Die ›ganze Sache‹ ist die Entbindung unseres zweiten Kindes. Ich muss heute um 14 . 00 Uhr in der Klinik sein. Zur Vorbereitung für morgen früh. Ich werde aufgeschnitten, aber natürlich verstehe ich trotzdem sofort, dass ein Schriftsatz eine gewisse Priorität hat.
Da trippelt Claudia aus ihrem Zimmer. »Kommt heute das Baby?«, will sie wissen. »Oder ist es schon da?« Gute Eltern nehmen sich Zeit für ihr Erstgeborenes, und so erkläre ich den Zeitplan nochmal in aller Ruhe. »Nein, Schatz, es ist noch in Mamas Bauch. Schau, hier drin. Du gehst zur Oma und die Mama ins Krankenhaus. Und morgen
kommst du mit der Oma und guckst dir das neue Baby an. Ist das nicht spannend?« Ich finde meine Argumentation durchaus kindgerecht und schlüssig, vorbildlich sozusagen, aber Claudia möchte trotzdem lieber mit ins Krankenhaus. Sie will gucken, wo das Baby rauskommt. »Ich will sehen, wie es schlüpft«, insistiert sie. »Nein«, sage ich. Einfach nur nein. Man soll zwar alles begründen, manchmal habe ich aber weder Kraft noch Nerven dafür. »Du gehst zur Oma.« Der Satz hätte der Supernanny sicherlich gefallen. So klar und deutlich. Claudia erscheint allerdings noch nicht überzeugt. »Will aber mit«, nörgelt sie. »Und wenn das Baby da ist, gibt’s das Begrüßungsgeschenk«, schiebe ich eine sanfte Bestechung hinterher. Das hätte der Supernanny jetzt sicherlich nicht so gefallen. Und wenn schon. Dafür wirkt es. Claudia entspannt und erklärt sich gnädig bereit, zur Oma zu gehen. Es soll ja Eltern geben, die ihre Kinder mit zur Entbindung des nächsten nehmen. Ich gehöre definitiv nicht zu dieser Sorte Mutter. Wie soll man sich denn gehen lassen, wenn das eigene Kind, gerade mal drei Jahre alt, dabeisteht? Ich bin keine der Frauen, die sich immer und bei jeder Gelegenheit völlig unter Kontrolle haben. Ich kann ja nicht mal mein Essverhalten ausreichend kontrollieren. Von Schmerzen mal gar nicht zu reden. Gut, die Wehen spare ich mir in dieser Runde ja. Ein geplanter Kaiserschnitt verläuft im besten Fall wehenlos. »Es ist aber auch keine richtige Entbindung«, sagen einige meiner Freundinnen. Leicht mitleidig und doch ein wenig vorwurfsvoll. Und wenn schon. Dann eben nicht. Ich neige da zu einem gewissen Pragmatismus: Raus ist raus. Zählt nicht letztlich nur das Ergebnis? Und eine ›richtige Entbindung‹ hatte ich auch schon. Ich muss doch niemanden da unten
rauspressen, der sich nicht an den üblichen Lageplan hält? Wer falsch rum liegt, wird eben rausgeschnitten. Alles im Leben hat seine Konsequenzen. Da kann ich nun mal ausnahmsweise nichts dafür.
Wirklich traurig bin ich über die Entscheidung Kaiserschnitt nicht. Im Gegenteil. Natürlich habe ich bei der Mitteilung meines Arztes, »Frau Schnidt, ich glaube, da ist ein Kaiserschnitt sicherer, es sei denn, das Kind dreht sich noch«, erst mal enttäuscht geguckt – ich weiß, was erwartet wird und füge mich gerne –, insgeheim aber war ich hoch beglückt und habe dem Kind gut zugeredet, so liegen zu bleiben, wie es nun mal liegt. Ich kann das Kind auch nur zu gut verstehen. Es muss doch angenehmer sein, nicht die ganze Zeit auf dem Kopf zu stehen. Gerade am Ende einer Schwangerschaft. Eingequetscht im mütterlichen Becken, wie in einem Fleisch gewordenen Schraubstock mit dem Kopf nach unten durch die Welt getragen zu werden, stelle ich mir nicht wirklich gemütlich vor. Der Arzt war überrascht, dass ich mich so schnell gefügt habe. »Wenn sie später mit dieser Entscheidung Probleme haben sollten, wir haben eine Gruppe für traumatisierte Kaiserschnittmütter. Die treffen sich seit Jahren.« Ich sage es ja immer. Die Welt ist voll mit Wahnsinnigen. Gibt es auch Gruppen für traumatisierte Männer, die
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