Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
zum Tod von Krankenschwester Anne noch davon ausgegangen, dass Wollschläger verantwortlich für die Taten war. Doch die Ermordung ihres Freundes Rolf erforderte ein völliges Umdenken. Kurz und gut: Wir vermuten den wahren Täter mittlerweile in Kreisen des Klinikpersonals, und ich spreche hier nicht von den sogenannten kleinen Leute, Pflegekräften und Aushilfen.«
»Wenn Sie den Täter unter uns Ärzten vermuten, ist es sehr mutig von Ihnen, allein zu kommen, Herr Kommissar«, sagte Bartels und klang auffällig kurzatmig.
Keller schloss daraus auf Bartels beschleunigten Puls und fragte sich, womit er den Arzt so sehr in Bedrängnis gebracht hatte. »Ex-Kommissar«, stellte er nochmals klar und musterte Bartels mit Argwohn.
»Dann ist es umso mutiger, geradezu tollkühn, denn Sie mussten Ihre Dienstwaffe bei der Pensionierung sicherlich abgeben.«
»Herr Dr. Bartels«, sagte Keller mit energisch kernigem Unterton. »Sie müssen mir von Rechts wegen keine Fragen beantworten. Ich will Sie nicht bedrängen und kann nur an Ihre Kooperationsbereitschaft appellieren, mir einige Auskünfte zu geben. Mir ist es ein persönliches Anliegen, meinen letzten Fall abschließen zu …« Keller unterbrach sich selbst mitten im Satz, als er Bartels dabei beobachtete, wie er einen größeren Gegenstand unter seinem Arztkittel hervorzog. Eine Pistole.
Jasmin Stahl stieß sich mit beiden Händen von der Kante ihrer Schreibtischplatte ab und ließ sich mit ihrem Drehstuhl zurückrollen. Das, was sie soeben auf dem Bildschirm ihres PCs gelesen hatte, raubte ihr beinahe den Verstand.
Sie hatte den Polizeicomputer mehr oder weniger aufs Geratewohl mit Informationen gefüttert, die ihr im Zusammenhang mit der Mordserie eingefallen waren, jeweils verknüpft mit den Zusätzen ›Klinik‹, ›Arzt‹ und einigen weiteren, ähnlichen Suchworten. Sie stieß dabei auf zahlreiche Einträge, keiner jedoch wies einen Nürnberger Bezug auf. Stattdessen aber lieferte ihr der Computer einen dezidierten Bericht über einen Schwindler, der sich Ende der 90er-Jahre als falscher Arzt in ein Thüringer Krankenhaus eingeschlichen hatte.
Jasmin konnte kaum glauben, was sie las: Der betrügerische Doktor, damals gerade 29 Jahre jung, behandelte und operierte, wurde gefördert und hofiert. Kein Wunder, hatte er bei seiner Einstellung doch ein Abiturzeugnis mit der Traumnote 1,1, eine Promotionsurkunde zum Doktor der Medizin der renommierten Universität von Oxford, eine Approbationsurkunde und obendrein einen zweiten Doktortitel der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni Frankfurt vorzuweisen – sämtliche Dokumente waren von dem mittelmäßig begabten Realschüler und abgebrochenen Bankkaufmann gefälscht worden, doch das fiel lange Zeit niemandem auf. Seine Krankenhauskarriere begann er als Assistenzarzt. Über zwei Jahre dauerte sein persönlicher Wahnsinn in Weiß, bis er nach einer missglückten Operation aufflog und suspendiert wurde. Einem Betrugsprozess entging er nur knapp durch Flucht.
Der Fall war spektakulär, aber er hätte Jasmin Stahl in ihrer augenblicklichen Lage nicht sonderlich interessiert, wenn da nicht auch ein Bild des falschen Doktors auf ihrem Monitor erschienen wäre. Eine frühe Aufnahme, ein Schnappschuss noch dazu. Aber die Qualität der Aufnahme reichte aus, um die Ähnlichkeit zu erkennen.
Jasmin atmete stoßartig ein und sogleich wieder aus. Dieser Mann war niemand anderes als Dr. Steffen Bartels, Chirurg am Nürnberger Südklinikum!
Fieberhaft scrollte sie sich durch die ergiebigen Textquellen und sog Informationsfetzen auf, die ihr wichtig erschienen.
Das Urteil eines Professors für differenzielle Psychologie und Diagnostik: Bei Hochstapeleien spielen häufig Persönlichkeitsstörungen eine Rolle. Menschen, die daran leiden, sind insensitiv gegenüber Belange anderer. Gefahren und Risiken für andere spielen für sie keine Rolle.
Die Meinung des Leiters der Chirurgischen Klinik seines früheren Arbeitgebers: Für mich ist er ein krankhafter Hochstapler. Er ist hochgradig pathologisch und hat möglicherweise eine enorme kriminelle Energie.
Die Aussage eines früheren Kollegen: Er kam im Sportwagen und Ralph-Lauren-Hemden, versuchte, die Frauen zu beeindrucken. Er war sehr zielstrebig. Er wird es wieder tun.
Abermals nahm sie Abstand von Bildschirm und Tastatur, ging kurz in sich. Dann griff sie zum Telefonhörer.
»Hallo, Einsatzzentrale? Hier ist das K11. Veranlassen Sie einen Zugriff.« Sie nannte
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