Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
Art und Ort des Einsatzes.
Jetzt war ihm alles klar: Indem er darauf angespielt hatte, einen Verdacht gegen einen leitenden Arzt zu hegen, hatte er Bartels – ohne es gewollt zu haben – aus der Reserve gelockt. Denn nicht Prof. Dr. Hancke, wie zuletzt vermutet, steckte hinter dem Blutvergießen der letzten Tagen, sondern der scheinbar so vertrauensvolle und durch und durch ehrbare Dr. Bartels! Keller schlug das Herz bis zum Hals, aber er durfte sich seine innere Panik nicht anmerken lassen.
»Eine gut gepflegte Waffe«, sagte er und zwang sich, ruhig und besonnen zu bleiben. Seine Lage wurde zumindest etwas erleichtert durch die Tatsache, dass Bartels die Pistole nicht gegen ihn richtete, sondern sie auf der ausgebreiteten Hand ruhen ließ. »Eine Walther, richtig?«
»Ja, eine P99«, sagte Bartels und klang unbeteiligt. »Die Waffe arbeitet nach dem Browning-System und hat eine Schiene für optische Zielhilfen auf dem Schaft. Man kann auch einen Schalldämpfer montieren. Aber den werden wir nicht brauchen. Es ist ja niemand anderes hier draußen bei der Kälte.«
Keller schluckte schwer. »Dr. Bartels«, sagte er mühsam, denn eine lähmende Angst wollte von ihm Besitz ergreifen. »Ich habe keinerlei Vorstellung davon, wie Ihre Rolle in diesem Fall aussieht. Ich kann lediglich vermuten, dass es sich bei dieser Pistole um die Waffe handelt, mit der Rolf erschossen wurde. Das Kaliber ist jedenfalls das gleiche.«
Bartels nickte mit unbewegter Miene. »Es ist dieselbe Waffe, ja. Ich habe sie mir schon vor vielen Jahren besorgt. In unsicheren Zeiten, in denen ich ständig auf der Hut sein musste. In ewiger Sorge, erwischt zu werden.«
»Erwischt? Von wem? Von der Polizei?«, fragte Keller, der nicht wusste, wie er sich der indifferenten Bedrohung durch Bartels entziehen sollte.
»Ja. Ich musste untertauchen, mir eine neue Identität aufbauen. Das war schwierig, mühsam, kräftezehrend. Doch ich habe es geschafft. Noch einmal geschafft!« Er zeigte ein siegesgewisses Lächeln, das gleich darauf gefror. »Wussten Sie, dass ich auf dem besten Weg war, zum Chefarzt aufzusteigen?«
»Wie schnell können wir vor Ort sein?«, herrschte Jasmin Stahl den Einsatzleiter, einen kompakten Mann von Mitte 50, an.
Der schob den Ärmel seiner olivgrünen Jacke zurück, warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr und sagte: »Bei der Wetterlage und dem Verkehr: Minimum 20 Minuten.«
»Das ist zu langsam!«, keifte die Kommissarin und kam sich dabei selbst hysterisch vor. Aber sie konnte nicht anders, wähnte sie doch Menschenleben in Gefahr, sollte sie den falschen Doktor und mutmaßlichen Mörder nicht rechtzeitig stoppen.
»Zwei Streifen, die in der Nähe sind, könnten vor uns am Ziel sein«, meinte der Einsatzleiter, ein von Erfahrung strotzender Mann, seelenruhig.
»Ich kümmere mich drum«, sagte Jasmin hektisch. »Rücken Sie aus! Dalli!«
Es wurmte sie, dass ihr Chef und ebenso sie selbst so viel Zeit damit vergeudet hatten, einer oder sogar mehreren falschen Spuren hinterher zu jagen, während der Täter unbehelligt weiter agieren konnte. Jasmin Stahl musste sich ernsthafte Sorgen darüber machen, ob sich Bartels inzwischen nicht bereits sein nächstes Opfer gesucht hatte. Jemanden, der ihm ebenfalls gefährlich werden konnte und deshalb aus dem Weg geräumt werden musste. Jemanden wie ihren Ex-Chef Keller. Bei diesem Gedanken lief ihr eine Gänsehaut den Rücken herunter.
Bartels legte die schwarze, martialisch wirkende Waffe von der rechten in die linke Hand. Noch immer machte er keine Anstalten, sie auf Keller zu richten. Doch das brauchte er gar nicht, denn die Pistole verfehlte auch so nicht ihre Wirkung. Sie stellte ein Symbol des Todes dar, selbst wenn ihre Mündung nicht auf das potenzielle Opfer zeigte.
»Nun gut«, sagte Keller mit trockener Kehle. »Erzählen Sie mir Ihre Geschichte. Warum haben Sie all diese Menschen ermordet?« Diese Frage stellte er, um Zeit zu gewinnen. Aber das war nicht der einzige Grund: Er war beherrscht von der Neugierde auf die Gründe, die den oberflächlich so jovial und erfolgsverwöhnt wirkenden Chirurgen Bartels in eine brutale Bestie verwandeln konnten. Weshalb hatte Bartels seinen Kollegen Dr. Beierlein, Schwester Anne und ihren Freund umgebracht? Und vielleicht auch … – Bei dieser Vorstellung stockte ihm erneut der Atem. Vielleicht auch die Krankenschwester, deren Tod bislang dem Konto Wollschlägers angerechnet worden war. Keller rief sich seine
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